Korn von gewissen Wesen bewohnt, die gütig, aber meistens schädlich sein können; im letzteren Falle erscheinen sie als schreckende, Haar und Bart verwirrende, Getreide zerschneidende Gespenster, meist in weiblicher Gestalt, als böse Zauberinnen und Hexen. Im Voigtlande glaubt man an den Bilsen-, Bilwer- oder Bilmerschnitter, der am Johannis- oder Walpurgistage vor Sonnenaufgang durch die Felder schreitet, an den Zehen kleine Sicheln gebunden tragend, mit denen er das Korn schneidet; er trägt ein kleines dreieckiges Hütchen und stirbt noch in dem Jahre, wenn er gegrüßt wird, oder wenn er sein Bild im Spiegel sieht. Oft reitet das Gespenst auch auf einem Bocke durchs Feld. In Norddeutschland ist das Wesen gewöhnlich weiblicher Art, ist weiß oder schwarz gekleidet, hat feurige Finger, lange und mit Teer gefüllte oder mit eisernen Spitzen versehene Brüste, welche es den das Korn betretenden Kindern um die Ohren schlägt. Oft hausen auch gespenstige Tiere im Korn, besonders die Roggensau, der Roggenwolf und der Roggenhund; es können aber auch alle sonstigen Tiergestalten sein, die in der Sage vorkommen.
Beim Mähen des Feldes flüchtet der Korngeist bis zur letzten Garbe, ja selbst in die letzte Ähre und bleibt am Leben, solange es noch irgendwie unausgekörntes Getreide von dem betreffenden Felde gibt. Darum läßt der Schnitter häufig ein Eckchen Getreide stehen, oder man bringt beim Beenden des Dreschens eine Garbe zum Nachbar, der noch nicht mit dem Dreschen fertig ist.
Eine zartere Gestalt ist das Kornkind oder der Kornengel, von dem manche Sagen plaudern. Es soll engelschön, feingelockt und auf schneeweißen Windeln liegend gefunden sein; wer es aber aufheben will, findet es so schwer wie Gold und kann es nicht bewegen.
Die Kornbewohner sind nicht immer sichtbar, sie können sich durch Nebelkappen unsichtbar machen; nimmt man ihnen die Nebelkappe, so kann man reichen Lohn damit verdienen, wenn man sie ihnen wiedergibt.
Die Zwerge bilden eine große und bekannte Gruppe von Sagenwesen, die nach ihrer Wohnung auch Unterirdische oder Erdmännlein genannt werden. Sie spielten nicht nur im Leben unserer Altvordern, sondern schon in der germanischen Götterlehre eine große Rolle, und noch
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/84&oldid=- (Version vom 31.7.2018)