meistens etwas Ungewöhnliches und Überraschendes, selbst das Übersinnliche an das Gewöhnliche, Wohlbekannte und Gegenwärtige, das Märchen aber steht abseits von der Welt in einem umfriedeten ungestörten Platz, über welchen hinaus es nicht weiter schaut. Darum kennt es weder Namen noch Ort, noch eine bestimmte Heimat, und es ist etwas dem ganzen Vaterlande Gemeinsames.
Schließlich noch die Abgrenzung der verschiedenen Arten der Sagen: Während die geschichtliche Sage an geschichtliche Personen und Handlungen anknüpft und die im Volke fortlebenden Erinnerungen an geschichtliche Zustände, Persönlichkeiten und in nebelhaftes Dunkel zurückgetretene Taten zu Erzählungen ausbildet, haftet die örtliche Sage an bestimmten Örtlichkeiten. Die Heldensage lehnt sich an die alten Helden des Volkes an, die Göttersage oder der Mythus an die alten Götter mit ihren Zuständen, Handlungen, Erlebnissen, so also über die bloßen Ereignisse des Menschenlebens hinausgreifend. Wenn die Sage auf dem Gebiete monotheistischer dogmatischer Religionen und vorzugsweise der christlichen auftritt, so wird sie zur Legende. Beschäftigt sie sich mit dem Leben und Treiben der Tiere, so spricht man von einer Tiersage, die sich fast ausschließlich auf mit Sprache und Denkkraft ausgestattete ungezähmte Tiere bezieht. Doch entspricht in diesem Falle der Name Tiermärchen dem Wesen der Sage und des Märchens besser. Andere Sagen sind dadurch entstanden, daß das Volk Personen und Ortsnamen sich deutet und daraus eine Geschichte macht, das sind die ätiologischen Sagen. Man spricht auch noch von Sagenkreisen. Sie gruppieren sich um bevorzugte Persönlichkeiten (König Artus, Dietrich von Bern, Karl der Große u. a.) und deren Umgebung. Wenn die Sagen dieser Sagenkreise nach Ursprung und Inhalt auch sehr verschieden sind, so stehen sie doch im Zusammenhang. Im Mittelalter gab es eine Reihe solcher Sagenkreise; denn wie alle Volkspoesie blühten die Sagen am prächtigsten in alter Zeit und verstummten bei höherer Kultur mehr und mehr.
Zu der Beurteilung und Einreihung der Sagen sind endlich noch verschiedene Gesichtspunkte zu erwähnen.[1] Eine verschiedene Weltanschauung wird auch über „übernatürliche,
- ↑ Vgl. Meiche, Sagenbuch des Königr. Sachsen S. XIII ff.
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/15&oldid=- (Version vom 31.7.2018)