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durch besondere, sich nicht eben sehr natürlich in seine Lehre einfügende Annahmen das enfant terrible, das im Michelsonschen Versuch dem Absolutismus entstanden war, zum Schweigen zu bringen suchte, nahm Einstein, von vornherein schon auf dem von Mach bereiteten Boden stehend, jenen Versuch in ganz natürlicher und unbefangener Weise als eine neue Bestätigung für seine relativistische Ueberzeugung und suchte nun das Ergebnis des Fizeauschen Versuchs damit in Einklang zu bringen. Das ist ihm und seinen Mitarbeitern, vor allem Minkowski, denn auch in einer so wunderbaren Weise gelungen, dass niemand, der Sinn für die Aesthetik mathematisch-physikalischer Theorien hat, sich dem Zauber der neuen Lehre entziehen kann und dass sich ihre Anhänger, trotzdem keine geringen Zumutungen an die Entwicklungsfähigkeit ihres Denkens gestellt werden, ununterbrochen vermehren. Wir dürfen aber freilich keinen Zweifel darüber lassen, dass die Aesthetik und Oekonomie eines Gedankenbaus nur erst in zweiter Linie über seine Haltbarkeit entscheiden kann, dass er sich vielmehr vor allem immer darüber auszuweisen haben wird, ob er nicht nur allen bereits bekannten Tatsachen, sondern auch den neu zu ermittelnden und besonders den auf seinem Grunde und zu seiner Prüfung aufzusuchenden Raum zu bieten vermag. Darüber kann natürlich erst die Zukunft entscheiden.

8. Lorentz hatte, um seine Theorie von der absoluten Bewegung dor Körper durch den absolut ruhenden Aether aufrecht erhalten zu können, zwei für seinen Standpunkt gewiss ausserordentlich kühne Annahmen gemacht. Die erste, die unabhängig von ihm auch Fitzgerald machte, lässt den in der Richtung der Erdbahn gelegenen Schenkel des Michelsonschen Apparates und auch jeden anderen Körper in der Richtung seiner absoluten Bewegung sich nach Massgabe seine absoluten Geschwindigkeit verkürzen. Die zweite macht einen Unterschied zwischen allgemeiner Zeit und Ortszeit: unter sonst gleichen Bedingungen würden dieselben Uhren verschiedene Angaben machen, wenn sie das eine Mal im Weltenraume absolut ruhten, das andere Mal sich auf einem bewegten Körper, wie der Erde, befänden.

Mit diesen beiden Annahmen suchte der Absolutismus den Hieb zu parieren, den ihm der Michelsonsche Versuch versetzt hatte. Tatsächlich war nun, rein mathematisch genommen, alles wieder in Ordnung. Keineswegs aber in dem begrifflichen Inhalt der Theorie. Die Lorentzsche Kontraktionshypothese macht die Verkürzung eines Körpers von seiner absoluten Bewegung abhängig. Aber es wird kein Merkmal aufgestellt, das uns die absolute Bewegung erkennen lassen könnte. Die letztere bleibt ein physikalisch völlig inhaltsloser Begriff. Statt die Erde in absoluter Bewegung begriffen zu denken, kann man sie mit demselben Recht in absoluter Ruhe denken: wir haben keinen einzigen vor der Kritik standhaltenden Beweis für das eine oder gegen das andere; das Absolute entzieht sich sowohl nach der

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/9&oldid=- (Version vom 7.6.2024)