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geradezu die Ansicht ausspricht, dass der Unterricht an unseren höheren Schulen keine Veranlassung habe, auf diese Theorie Rücksicht zu nehmen[1]), so kann man sich über jenen grossen Mangel unserer heutigen Lehrbuchliteratur nicht eben wundern.

Zum Glück ist aber gerade die Relativitätstheorie in hohem Masse geeignet, diese Rückständigkeit zu beseitigen. Denn für junge empfängliche Köpfe, die sich von der Metaphysik der Substanzvorstellung noch ohne grössere Schwierigkeiten befreien können, ist sie weit leichter verständlich, als man gemeinhin denkt. Kann doch die Relativität aller empirischen Bewegung geradezu handgreiflich gemacht werden, und setzt anderseits die Einsteinsche Theorie für ihre Grundlagen nur sehr einfache mathematische Hilfemittel voraus. Ich möchte auf Grund langjähriger Erfahrung empfehlen, mit der Erörterung der Relativität der astronomischen Bewegungen an der Hand des Hofmannschen Automobilbeispiels zu beginnen, natürlich in freiester Diskussion, ohne jeden autoritativen und sonstigen suggestiven Einfluss zu üben. Man kann das schon in Obersekunda mit grösstem Vorteil tun: es sind die angeregtesten Stunden. Zu immer neuen Einwänden fordere man die Schüler auf, und bald wird man sehen, wie sie selbst von ihren Kameraden widerlegt werden. Die Wirklichkeit des ‚Sinnenscheins‘ und die Unhaltbarkeit des alten Begriffes der optischen und überhaupt der Sinnestäuschung ist das natürliche Ergebnis solcher Besprechungen, das zu befestigen und auf immer breiteren Grund zu stellen der Lauf des weiteren naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts reiche Gelegenheit bietet; von besonderer Wichtigkeit sind dabei in der Physik die Zentrifugalvorgänge und Spiegelung und Brechung des Lichts, in der Mathematik die Grundlagen der Nicht-Euklidischen Geometrie und die Gegenüberstellung des so gewonnenen allgemeinen Raumbegriffe mit den Erfahrungen des Sehraums. Zur Einführung in die elektrodynamische Relativitätstheorie wird man am natürlichsten bei der Behandlung der Lichtgeschwindigkeit kommen. Nimmt man sie in der oben (§ 12 ff.) dargelegten Weise vor, so wird man wohl auf keine unlösbaren pädagogischen Schwierigkeiten stossen.

Dass auch der Hochschulunterricht sich mit Vorteil des gleichen Ganges bedienen kann, möchte ich ebenfalls auf Grund eigener Erfahrung versichern.

Man fürchte nicht, dass bei solchen Erörterungen auf den höheren Schulen der experimentelle Unterricht leiden müsse. Im Gegenteil: gelangt man durch sorgfältigere theoretische Betrachtungen zu den Fragestellungen, die nur durch das Experiment zu beantworten sind, so wird dieses mit ganz anderer Spannung erwartet, als wenn es ohne tiefer dringende Vorbereitung angestellt wird, und die unscheinbarsten Versuche nehmen es dann an Reiz mit den beliebten ‚glänzenden‘ Paradestücken auf. Man vergesse auch nicht, dass wie aller überwiegenden Praxis so auch der überwiegenden Experimentierpraxis es leicht an Tiefe

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/53&oldid=- (Version vom 6.6.2024)
  1. Zeitschr. für den physikal. u. chem. Unterricht a. a. O.