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Gedankenzusätze gewesen, die vom sicheren Wege ab- und nur zu häufig in die Irre oder doch auf Umwege führten.

39. Anhangsweise mögen noch ein paar Bemerkungen über die Behandlung der Relativitätstheorie im Unterricht folgen.

Sind auch, wie wir (§ 26) gesehen haben, Brauchbarkeit und Fruchtbarkeit einer Theorie nicht davon abhängig, dass sie unmittelbar und Schritt für Schritt aus den vorausgesetzten Tatsachen abgeleitet und so möglichst anschaulich gemacht wird, so werden Erkenntnisdrang und Unterrichtsbedürfnis doch immer solche konkrete Darstellung verlangen: möglichst grosse ‚Gründlichkeit‘ des Verständnisses sowohl der Tatsachen wie der Theorie kann nur durch möglichst enge Verknüpfung und Durchdringung dieser beiden Komponenten jeder Erkenntnis erreicht werden.

Wir haben viele gute und einige vortreffliche Lehrbücher der Physik für unsere höheren Schulen. Sehen wir aber von dem in seiner Art einzigen, pädagogisch meisterhaften „Leitfaden der Physik“ von Mach und Jaumann ab, der leider nicht fortgeführt wird, so gibt es wohl keins, das nach der erkenntnistheoretischen Seite hin berechtigten Forderungen genügt. Obwohl die theoretische Physik seit langer Zeit z. B. den Machschen Massenbegriff ganz allgemein angenommen und damit den Substanzbegriff für Masse und Kraft beseitigt hat, sucht man in unseren Lehrbüchern vergeblich nach diesen Errungenschaften. Da spielt die Kraft als Ursache von Bewegungsänderungen noch immer ihre metaphysische Rolle, und über die Kausalität bestehen Vorstellungen, von denen die wissenschaftliche Theorie schon fast frei ist und die an Rückständigkeit mit den naturwissenschaftlichen Anschauungen der Lehrbücher der philosophischen Propädeutik wetteifern können. Die Verfasser jener Bücher haben offenbar der Experimentalphysik die grösste Beachtung geschenkt, die Theorie aber, die nicht minder wichtig ist, vernachlässigt. Dort werden — und gewiss mit vollem Recht — die bedeutendsten Fortschritte des Tagen berücksichtigt, und die Lehrmittelfabriken halten mit dem Gang der Wissenschaft gut Schritt: Hertzsche Wellen, drahtlose Telegraphie, Röntgenstrahlen, Teslaversuche, Benzinmotor, Flugzeuge und was nicht alles noch, werden heute oft genug im Unterricht selbst der Gymnasien behandelt. Raum, Zeit und Bewegung aber bleiben nach wie vor absolut, an der Existenz des Aethers ist nicht zu zweifeln, die Tatsachen werden mit den Resten veralteter Theorien zu einem für den Schüler niemals wieder entwirrbaren Knäuel verquickt, und was eine der höchsten Aufgaben des naturwissenschaftlichen Unterrichts sein sollte: die Bedeutung der Theorie begreifen zu machen, ihren inhaltlichen erkenntnistheoretischen Kern bloss zu legen, ihren Zusammenhang mit den brennendsten und tiefsten Fragen der Weltanschauung zu zeigen, ihre Bedingtheit einzusehen und den Blick in die Unvermeidlichkeit und Notwendigkeit ihrer Entwicklung zu öffnen, das bleibt zum grössten Teile ungelöst. Freilich, wenn ein Didaktiker wie Höfler die Relativitätstheorie für eine „Modesache“ hält und ein anderer Führer auf dem Gebiete der physikalischen Pädagogik, Poske,

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/52&oldid=- (Version vom 6.6.2024)