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ruhenden Gegenstandes im Prinzip wahrzunehmen sind, also auch auf der photographischen Platte beobachtet werden müssten. Man darf eben nie aus dem Auge verlieren, dass für die Relativitätstheorie ‚bewegte‘ und ‚ruhende‘ Körper nie einem und demselben System angehören, und dass im ‚bewegten‘ System Gestalt und Uhrgang stets andere sind als im ‚ruhenden‘. Bei genauer Beachtung dieser Umstände kann kein Widerspruch auftreten.

37. Schliesslich sollen noch die Grenzen der Einsteinschen Relativitätstheorie nach der erkenntnistheoretischen Seite hin untersucht werden. Da sind vor allem wohl zwei Punkte zu beachten, die sich beide auf die Geschwindigkeit der relativen Bewegung der Systeme beziehen.

Vor allem gilt die Theorie nicht mehr für Geschwindigkeiten von Körpern, die grösser als die Lichtgeschwindigkeit sind, da für der für die Relativitätstheorie charakteristische Faktor imaginär wird, innerhalb der Räume jener Theorie nicht mehr definiert und also gegenstandslos ist. Daraus aber zu schliessen, dass in der Natur grössere Geschwindigkeiten als die des Lichts nicht vorkämen, oder gar, dass solche überhaupt nicht möglich wären, das würde ganz das Verhältnis einer Theorie zu den Tatsachen verkennen heissen. Niemals darf von einer Theorie mehr verlangt werden, als dass sie alle zur Zeit ihres Entstehens bekannten Tatsachen eines mehr oder weniger eng begrenzten Gebietes umfasst, in eindeutigen Zusammenhängen aufweist, in ihrem immer wiederkehrenden Verlaufe allgemein beschreibt — soweit eben von solcher Wiederkehr überhaupt gesprochen werden darf. Wenn sie freilich in der Tat gewöhnlich mehr leistet, wenn ihre logischen Konsequenzen oft genug durch spätere Entdeckungen bestätigt werden, so ist das einer nicht vorherzusehenden Gunst des Umstandes zu danken, dass die Analogie zwischen ihr und ihrem zugehörigen Tatsachenkreis häufig weiter reicht als das ursprüngliche Gebiet, das zu ihrer Aufstellung Anlass gab. Für alle bisher aufgestellten Theorien mit einstweiliger Ausnahme nur eben gerade der neuesten, ist aber einmal der Zeitpunkt gekommen, an dem Tatsachen gefunden wurden, denen sie nicht mehr entsprechen konnten, und das hat dann stets den Anstoss zur Entwicklung neuer Theorien gegeben. Man wird also auch von dem hier in Rede stehenden Punkte wie nach dem früher (§ 32) Gezeigten ja auch von anderen aus darauf gefasst sein müssen, dass neue Tatsachen zum Umbau oder zur Aufgabe der Theorie nötigen werden.

Der Natur von vorn herein grössere Körpergeschwindigkeiten als die des Lichtes abstreiten wollen, das würde derselbe Fehler sein, den man noch immer häufig auf Grund der Lehren der Thermodynamik mit der Festlegung einer unteren Grenze der Temperatur macht. Ganz allein die Erfahrung — niemals eine Theorie — kann darüber entscheiden, ob es einen absoluten

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/48&oldid=- (Version vom 6.6.2024)