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Beziehung auf das Fixsternsystem physikalisch gar nicht erfasst werden; sie ist nach den allein vorliegenden Tatsachen der Erfahrung die Bewegung eines einzelnen Körpers oder einzelnen Systems gegenüber der Gesamtheit aller übrigen.

3. Mit dieser Relativierung der Trägheit und Zentrifugalität gehen für Mach tiefgreifende Aenderungen der bis dahin üblichen Anschauungen über Raum und Zeit in der Physik Hand in Hand. Beide verlieren ihren absoluten Charakter vollständig.

Die „absolute, wahre und mathematische Zeit“ Newtons, die „an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgend einen äusseren Gegenstand“ „verfliesst“, ist nur ein Erzeugnis metaphysischer Spekulation. Wo wäre denn die Uhr, die uns dieses gleichmässige Fliessen zu beurteilen gestattete? Ihr Gang müsste ja an einer weiteren Uhr auf Gleichmässigkeit geprüft werden usf. ohne Grenzen. Für die gegenwärtige Physik ist der Drehungswinkel der Erde gegenüber dem Fixsternhimmel das letzte Zeitmass. Denken wir daher in den physikalischen Gleichungen den Zeitparameter durch jenen Drehungswinkel ersetzt, so haben wir in jeder ein genaues Analogon zu einer Gleichung etwa der analytischen Geometrie, in der uns die Variation eines Parameters eine stetige Figurenfolge liefert. Ein Tempo, irgend eine bestimmte Geschwindigkeit, also wieder ein Zeitmass für das Wachsen des Drehungswinkels der Erde fordern, ist unlogisch und wird vom klaren Denken so wenig verlangt wie für das Wachsen eines geometrischen Parameters[1]). Zugleich erkennen wir an dieser Elimination der ‚Zeit‘ aus den Bestimmungsgleichungen der Physik, dass es sich in diesen Gleichungen nur um die funktionelle Abhängigkeit der Vorgänge von einander handelt, dass sich also hinter dem Zeitparameter ein tiefgehender Zusammenhang alles Geschehens verbirgt. Zuletzt ist jedes mit jedem verknüpft, und statt die Aenderung des Drehungswinkels der Erde der Betrachtung aller Veränderung überhaupt zugrundezulegen, kann man sie an irgendwelchen anderen Vorgängen verfolgen, nur dass dann die mathematischen Formulierungen im allgemeinen verwickelter würden[2]). Die Zeit ist also physikalisch die Darstellbarkeit jeder Erscheinung als Funktion jeder anderen[3]).

Durch jene Substitution ist die Zeit auch aufs engste mit dem Raum verknüpft, was ja ebenfalls, wenn auch auf andere Weise, eine besondere Seite der neuesten Phase der Relativitätstheorie ist.

4. Solche Anschauungen sind für Mach nicht nur aus physikalischen und physikhistorischen Studien geflossen, sondern namentlich auch aus sinnesphysiologischen und allgemeinen

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/4&oldid=- (Version vom 9.6.2024)
  1. s. Petzoldt, Das Gesetz der Eindeutigkeit. Vierteljahrsschr. für wissenschaftl. Philos. 1905, S. 177.
  2. vgl. Mach, „Erkenntnis und Irrtum“, S. 426 ff.
  3. Mach, Sitzgber. der Wiener Akad. 1865, abgedruckt in „Erhaltung der Arbeit“, Prag 1872, 2. Aufl. Leipzig 1909. S. 57. — Man vergleiche mit den Anschauungen Machs über die Zeit die Darlegung Minkowskis über die „Freiheit der Zeitachse“ („Raum und Zeit”, Teubner 1909, S. 2 ff.).