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eingetauchte Stab ist für das Auge oder optisch geknickt, für die tastende Hand oder taktilokinästhetisch ist er ungebrochen geblieben.

Mit dieser Begriffsbestimmung gelangen wir zu folgender bestimmteren Form unserer Frage: sind jene Aenderungen in der Körpergestalt und im Uhrgang allein optischer oder sind sie zugleich such kinästhetischer Natur? Ist also die Relativitätstheorie, die ja von optischen Tatsachen ihren Ausgang nimmt und eine optische Voraussetzung, die universelle Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, an ihre Spitze stellt, ist diese Theorie im Grunde nur eine optische oder zieht sie auch die taktilokinästhetischen Qualitäten in Mitleidenschaft?

30. Wäre sie rein optischer Natur, so müssten wir die Pressung der Körper und das Vor- und Nachgehen der Uhren allein aus dem (von den starr gebliebenen Körpern und den unverändert in Uebereinstimmung mit den ‚ruhenden‘ laufenden Uhren) zurückgeworfenen Licht in Verbindung mit der relativen Bewegung ableiten. Das ist aber nicht möglich. Denn die erste Folgerung aus dem Michelsonschen Versuch, von dem ja die Theorie herstammt, war die Verkürzung des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Interferenzenzapparats. Und diese Verkürzung kann auf keinen Fall als optisches Reflexionsphänomen gedeutet werden, weil sie voraussetzt, dass der reflektierende Spiegel jenes Schenkels während der Bewegung näher an der schrägen planparallelen Platte sich befindet als der Spiegel des zur Bewegungsrichtung senkrechten Schenkels; sonst hätte das Licht in der Bewegungsrichtung einen längeren Weg zu machen als in der dazu senkrechten, was die Konstanz des Interferenzenzstreifensystems nicht zulässt. Somit ist für die Relativitätstheorie die Verkürzung der Körper in der Richtung ihrer relativen Bewegung genau so gut auch taktilokinästhetischer Natur wie irgendwelche durch mechanischen Druck hervorgerufene Kompression. Da ferner der Uhrgang funktionell an jene Verkürzung gebunden ist, kann auch seine Veränderung nicht bloss als eine optische ‚Erscheinung‘ gedeutet werden, sondern müsste genau so gut auch dem taktilokinästhetischen Sinn zugänglich sein, wie jedes sonstige Vor- und Nachgehen einer Uhr, falls nur die Hand des ‚ruhenden‘ Beobachters die bewegte Uhr erreichen könnte. Und so ist auch die Torsion eines ‚bewegten‘ um die in die Bewegungsrichtung fallende Achse rotierenden Körpers im Sinne der Relativitätstheorie für genau so ‚wirklich‘ anzusehen wie irgend eine mechanische Torsion.

31. Man findet in den Arbeiten zur Relativitätstheorie — und zwar von Anhängern — öfter die Ansicht mittelbar oder unmittelbar ausgesprochen, dass die Verkürzung der ‚bewegten‘ Körper nur eine Folge der synchronen Messung sei und dass zuletzt die durch hin- und zurückgeworfene Lichtsignale erfolgende Uhrenregulierung für jene Längenveränderungen verantwortlich gemacht werden müsse. Damit wird doch angedeutet, dass, wenn man die ‚bewegten‘ Längen nur anders als synchron, wenn man

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/38&oldid=- (Version vom 7.6.2024)