Seite:Die Relativitätstheorie der Physik.djvu/36

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Nicht schwerer als die Verabschiedung des Aethers fallen dem Erkenntniskritiker, der die Aufgabe der Wissenschaft in der allgemeinen Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge erblickt, die Konsequenzen der Relativitätstheorie, die die Masse, die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten, die Temperatur der Körper u. a. von der relativen Bewegung abhängig machen. Machs Kritik hat den physikalischen Begriffen den Charakter irgendwelcher Substanzen vollständig geraubt, so dass unter „Erhaltung der Masse“ wie unter „Erhaltung der Energie“ nicht das Beharren irgend einer Wesenheit, eben einer den Vorgängen zugrundeliegenden Substanz, verstanden werden kann, sondern nur die Konstanz von Masszahlen, die uns das Experiment an den beobachteten Vorgängen gewinnen lässt. Wir brauchen dabei noch gar nicht zu berücksichtigen, dass der Begriff der Erhaltung der Energie nur durch eine recht willkürliche Ausdehnung des Energiebegriffs auf Gebiete möglich geworden ist, die gar nicht mehr die Bedeutung einer Arbeitsquelle haben können[1]), Es kann jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten machen, die Masse und, falls die Theorie es forderte, selbst die Energie mit grossen relativen Geschwindigkeiten der Körper für den ‚ruhenden‘ Beobachter ihre sonstige Konstanz verlieren zu sehen. Mit der Temperatur und anderem steht es ähnlich, da die Kritik auch hier jeden metaphysischen, substanziellen Hintergrund zerstört hat[2]). —

Für die Einsicht in den Gang, den die Wissenschaft nimmt, ist es wichtig, dass sich den Mathematikern die Aufstellungen der Relativitätstheorie „sozusagen als Korollare eines allgemeinen seit lange wohl geordneten Gedankenganges“ erwiesen[3]). Minkowski hielt es sogar für denkbar, dass ein Mathematiker „in freier Phantasie“, also unabhängig von den Ergebnissen des physikalischen Experiments und überhaupt von Anregung durch die Physik, auf die Grundlagen jener Theorie hätte kommen können[4]). Das kann nicht nur denen zu denken geben, die auf innere Widersprüche der Relativitätstheorie fahnden, sondern auch denen, die sie nur für eine Modesache erklären. Nehmen wir die Erkenntnistheorie des relativistischen Positivismus als dritte im Bunde, so stehen wir hier vor einer gewaltigen Konvergenz moderner Gedankenentwicklung: Physik, Mathematik und positivistische Erkenntnistheorie drängen nach derselben Grundauffassung der Natur, ja der Welt überhaupt. Es sind versinkende Weltanschauungen, die das Verständnis für eine solche Entwicklung nicht mehr aufbringen können.

Positivistische Erkenntnistheorie stellt sich auch nicht der Anwendung des vierdimensionalen Euklidischen Raumes zur

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/36&oldid=- (Version vom 7.6.2024)
  1. s. Mach, Ueber das Prinzip der Erhaltung der Energie. Popul. Vorles. 4. Aufl, 8. 167 ff.
  2. Mach, Wärmelehre, 1896, S. 39 ff.
  3. F. Klein, Ueber die geometrischen Grundlagen der Lorentzgruppe. Jahresbr. der Deutsch. Mathem.-Vereinigung 19, 1910, S. 281.
  4. Minkowski a. a. O, S. 4.