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Kann man gegen die an der Spitze stehenden Voraussetzungen einer Theorie logisch nichts einwenden, enthalten sie also keine einander ausschliessenden Momente, so können auch die logisch richtigen Folgerungen niemals zu logischen Widersprüchen führen. Ist man also auf solche gestossen, so hat man eben selbst die Theorie falsch angewandt. Irrtümliche Folgerungen sind bei einer schwierigeren neuen Theorie natürlich häufig: sie können nichts gegen dieselbe beweisen, ihre Aufklärung kann aber für das Eindringen in die ungewohnten Gedankengänge nur förderlich sein. Wohl jeder, der in die Relativitätstheorie tiefer eingedrungen ist, wird gelegentlich auf Irrwege geraten sein und aus solchen Verfehlungen gelernt haben; wegen dieses vielfach möglichen Abirrens möchte ich nähere Beschäftigung mit dieser Lehre geradezu als eins der besten Mittel logischer Schulung bezeichnen.

Und nun noch ein paar besondere Bemerkungen.

28. Nach der Lorentzschen Theorie ruht der Aether absolut oder ist doch absolute Bewegung Bewegung gegen den Aether. Hat man aber zwei Koordinatensysteme, die sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit gegen einander bewegen, so weiss man nicht, in bezug auf welches der Aether ruhen soll: beide sind für die Erfahrung und für die Relativitätstheorie gleichberechtigt. Darum muss man auf ein den ganzen Raum erfüllendes Mittel verzichten[1]). Diesen Verzicht hat die Erkenntnistheorie des relativistischen Positivismus schon längst geleistet[2]). Er galt ihr höchstens als ein Hilfsmittel für die Beschreibung der optischen und überhaupt der elektromagnetischen Vorgänge. Für die Relativitätstheorie hat er aber nicht einmal mehr den Wert eines solchen. Er war nichts als ein Stück Metaphysik in der modernen Naturwissenschaft: durch keine Erfahrung nachgewiesen und mit Eigenschaften belegt, die an keinem Stoffe der Erfahrung aufweisbar waren; sollte er doch weit härter sein als Diamant und zugleich weit weniger dicht als Wasserstoffgas, dazu ohne alle taktilokinästhetischen und optischen Qualitäten, nicht nur wegen seiner geringen Dichte, sondern im Prinzip unsichtbar — da ja nach der Undulationstheorie seine Schwingungen, nach der elektromagnetischen seine Zustandsänderungen alles Sehen überhaupt erst ermöglichen sollten. Er bildet wohl mit der ruhenden Kugel des Parmenides, mit der idealistischen Verflüchtigung der Welt zur blossen Vorstellung und mit dem Kantischen Ding an sich die Gruppe der grössten Irrtümer des wissenschaftlichen Denkens und fliesst mit diesen auch aus derselben Quelle[3]). —

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/35&oldid=- (Version vom 7.6.2024)
  1. Einstein, „Le principe de relativité et ses conséquences dans la physique moderne“, Bibliothéque universelle. Archives des sciences physiques et naturelles. Genève 1910 S. 19.
  2. Man sehe ausser Machs Schriften namentlich auch Stallo, Die Begriffe und Theorien der modernen Physik. Deutsch von Kleinpeter nach der 8. Aufl. des englischen Originals. Ferner Normann Campbell, Relativitätsprinzip und Aether. Deutsch von M. Iklé. Physikal. Zeitschr, 13, 1912, S. 120 ff.
  3. Petzoldt, Das Weltproblem usw,, a. a. O,