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Metaphysik des Absoluten vollständig zu überwinden; und darum bleibt diese Ueberwindung einstweilen das wichtigste Ziel der erkenntnistheoretischen Aufklärung. Der grösste Teil der Lebensarbeit Machs hat diesem Ziel gegolten. Mach erreichte es dadurch, dass er nach dem „naturwissenschaftlichen Inhalt“ der Physik suchte, nach den rein tatsächlichen, von keinen metaphysischen Zusätzen mehr entstellten Zusammenhängen des Wirklichen. Im Vorwort der ersten Auflage der „Mechanik“ (1883) heisst es: „eben dieser Inhalt, welcher für jeden Naturforscher, jeden Denker das grösste und allgemeinste Interesse hat, liegt eingeschlossen und verhüllt in dem intellektuellen Fachapparat der heutigen Mechanik“. Ganz Entsprechendes dürfen wir von der modernen Relativitätstheorie sagen. Auch hier ist der ‚anschauliche‘, konkrete, tatsächliche, naturwissenschaftliche Inhalt der neuen Theorie in einem „intellektuellen Fachapparat“, in mathematischen Formeln eingeschlossen, die dem Physiker zur leichten Handhabung dienen, ohne dass er gezwungen wäre, auf jenen anschaulichen Kern, den konkreten, greifbaren naturwissenschaftlichen Inhalt, zurückzugehen. An diesem ist ihm gewöhnlich nicht in erster Linie gelegen, vielmehr dürften ihn vor allem die Folgerungen interessieren, die aus der Theorie zu entwickeln sind, und die neuen Experimentalideen, zu denen sie führen, und die dann wieder auf Grund der experimentell gewonnenen Ergebnisse Umbildungen der Theorie veranlassen usf. Der Erkenntnistheoretiker dagegen sucht Aufklärung über den letzten, eigentlichen Inhalt der Theorien, über das, was davon als wesentlicher Bestandteil in unsere gesamte Weltanschauung einzugehen hat. Ihm sind die von der Forschung entwickelten Theorien nicht so sehr schon Lösungen als vielmehr Probleme. Er will ihr Entstehen und ihre Berechtigung ‚begreifen‘, und dazu muss er sie bis in ihre letzten Elemente und deren naturwissenschaftliche Grundlagen ‚durchschauen‘. Was dieses ‚Begreifen‘ und ‚Durchschauen‘ zuletzt selbst wieder bedeutet, das hat ebenfalls die Erkenntnistheorie zu ermitteln, kann aber nicht Aufgabe der vorliegenden enger begrenzten Arbeit sein: an anderer Stelle soll darüber eingehend gehandelt werden. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, dass Machs hauptsächliche physikalische Arbeit jener letzten Aufhellung gilt; dass die oben gegebene Analyse der Grundgleichungen der Relativitätstheorie, wie ich hoffe, ganz im Geiste solcher Kritik der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gelegen ist, und endlich, dass mit alledem genau so gut Naturwissenschaft getrieben und gefördert wird, wie durch Beobachtung, Experiment und mathematische Theorie. Erst durch solche erkenntnistheoretischen Untersuchungen werden wir geistig völlig zu Herren des vom experimentellen und vom mathematisch theoretischen Physiker erschlossenen Gebietes.

Wir vergessen dabei keineswegs, dass, wie ja schon zur Genüge (O. § 21) hervorgehoben, der elektrodynamischen Relativitätstheorie ein hypothetisches Element, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, zu Grunde liegt. Indessen ist diese

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/32&oldid=- (Version vom 7.6.2024)