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beseitigen, das kann hier nicht erörtert werden[1]. Hier handelt es sich nur um die Einreihung der Relativitätstheorie in diesen gewaltigen Prozess. Die wichtigsten Momente dafür sind die Aufhebung des Gegensatzes von ‚wirklich‘ und ‚scheinbar‘, die von der konsequenten Relativitätstheorie für weite physikalische Gebiete vorgenommen wird, und die vollständige Relativierung der Begriffe von der Gestalt der Körper und der zeitlichen Anordnung der Ereignisse. Es zeigt sich dabei, dass die erkenntnistheoretische Klärung der Relativitätstheorie von den Physikern nur teilweise und vielfach inkonsequent geleistet wird, dass hier also eine dringliche und wichtige Aufgabe für die Erkenntnistheorie vorliegt.

2. Es gibt zwei Relativitätstheorien oder, wenn man will, zwei Phasen der Relativitätstheorie. Sie knüpfen sich in erster Linie an die Namen von E. Mach und A. Einstein. Wir wollen zunächst das für uns Wichtige der beiden Lehren herausheben.

Für Mach steht es fest, dass es keinerlei physikalische Mittel gibt, eine absolute Bewegung eines Körpers im Raum festzustellen, dass absolute Bewegung somit physikalisch sinnlos ist.

Newton war noch von der absoluten Bewegung überzeugt. Zwar hatte er erkannt, dass es unmöglich sei, absolute Translation nachzuweisen, aber er glaubte, in den bei Rotationen auftretenden Zentrifugalvorgängen ein untrügliches Merkmal absoluter Bewegung gefunden zu haben. Dem gegenüber weist Mach darauf hin, dass Fliehkräfte immer nur mit Rotationen gegenüber der Masse der Erde oder des Fixsternhimmels auftreten, also immer nur an Kreisbewegungen relativ zu sehr grossen Massen gebunden sind. Dieser Einwurf ist durchschlagend und hat alle Berufung auf die angeblichen Beweise für die absolute Bewegung, z. B. der Erde, zu nichte gemacht. Er knüpft nicht nur die kosmischen Zentrifugalvorgänge, sondern auch alle Trägheitsbewegungen an die Massen des Fixsternhimmels: die Abweichungen nordsüdlicher Winde, nordsüdlich geworfener Geschosse, fallender Körper, des Foucaultschen Pendels usw. Diese Auffassung ist zugleich eine weit tiefere als die für die Zentrifugalvorgänge übliche, wie sie sich in dem Newtonschen Versuch mit dem rotierenden Wassergefäss und in der Newtonschen Definition der Trägheitsbewegung ausdrückt[2]). Denn sie stellt die Fliehkräfte und Trägheitsvorgänge in einen weit grösseren Zusammenhang. Zentrifugaler Druck und zentripetaler Zug sind nicht Vorgänge, bei deren eindeutiger Bestimmung man von den kosmischen Massen absehen dürfte: das C. Neumannsche Gedankenexperiment mit dem rotierenden isolierten Fixstern ist ganz naturgemäss mehrdeutig, eine Entscheidung kann nicht gefällt werden, weil es Verhältnisse herstellt, die von den wirklichen prinzipiell, qualitativ, nicht nur quantitativ verschieden sind. Und ebenso kann die geradlinige gleichförmige Bewegung des Trägheitssatzes ohne

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/3&oldid=- (Version vom 6.6.2024)
  1. Ausführlich ist dieser Entwicklungsgang dargestellt in Petzoldt, „Das Weltproblem vom Standpunkt des relativistischen Positivismus aus“, 2. Aufl. Leipzig 1912.
  2. s. darüber Mach, Mechanik, 7. Aufl. Leipzig 1912, S. 220 ff.