Beziehung: die vom Licht zurückgelegten Wege wachsen proportional den Drehungs-Winkeln solcher rotierender Körper, die sich zur Zeitmessung eignen. Damit hat der Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Bedeutung eines präsumptiven Naturgesetzes, einer Hypothese. Diese Hypothese findet, wie alle Hypothesen, ihre Rechtfertigung im Erfolg: einer möglichst umfassenden hinreichend angenäherten Beschreibung von hinreichend festgestellten tatsächlichen funktionellen Zusammenhängen zu dienen. Und sie kann, wie alle sonstigen Hypothesen, weitere Bestätigung oder aber auch Widerlegung durch neu ermittelte Tatsachen finden.
Es sind wohl schon heute Versuche denkbar, die die Frage entscheiden könnten. Der Michelsonsche Versuch, mit einer ausserirdischen Lichtquelle veranstaltet, könnte uns Aufschluss darüber geben, ob die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts von der Bewegung der Lichtquelle abhängig ist oder nicht. Und wenn es gelänge, nicht kohärente Lichtstrahlen zur Aeusserung von Interferenzenzvorgängen zu bringen, so würden wir durch Interferenzenz von irdischem und ausserirdischem Licht Antwort auf dieselbe Frage erhalten können[1] ).
Die Voraussetzung der universellen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist es, die zu der eigenartigen Relativierung des Zeitmasses geführt hat, das die Einsteinsche Theorie charakterisiert. Sie ist es, die die Uhren des ‚bewegten‘ Systems zum Nachgehen zwingt und damit Raum- und Zeitmass jedes Systems fest an einander kettet. Sie ist es, die die wunderbare Minkowskische Theorie hat entstehen lassen, die in dem schnell berühmt gewordenen Wort sich andeutete: „Von Stund’ an sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten hinabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren“[2]).
Fällt jene Voraussetzung, so fällt die Einstein-Minkowskische Theorie mit ihr. Das mindert ihren Wert nicht, denn niemand wird erwarten, dass ihr gerade von allen physikalischen Theorien allein beschieden sein sollte, für immer zu bestehen, wo doch die Physik mitten in der lebhaftesten Entwicklung begriffen ist. Ihre geschichtliche Bedeutung aber ist unvergänglich, denn sie hat den Blick der Forschung erweitert, wie keine ihrer physikalischen Vorgängerinnen. Und ihr aesthetischer Reiz wird bestehen bleiben wie die Poesie der alten Heldengedichte.
Der Bestand der Relativitätstheorie überhaupt ist aber an ihren Bestand nicht geknüpft. Die Machsche Theorie ist die umfassendere, denn sie beruht auf sinnesphysiologischer Grundlage und zeigt, dass es niemals ein Mittel, auch keines optischer
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/27&oldid=- (Version vom 7.6.2024)
- ↑ Beobachtungen an spektroskopischen Doppelsternen sind der von Ritz angenommenen Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Lichtquelle nicht günstig. s. De Sitter, Ein astronomischer Beweis für die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Physik. Zeitschr, 14, 1918 S. 429. Vgl. dazu Castelnuovo, Il principio di relatività e i fenomeni ottici. Scientia IX, 1911.
- ↑ Minkowski, Raum und Zeit. Teubner, 1909, S. 1.