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Apparate als gleich, der ‚ruhende‘ Beobachter im ganzen Zusammenhang seines Systems als verschieden. Aber es waren ja schon immer die beiden Beschreibungen der Vorgänge des Planetensystems — das eine Mal auf die Erde, das andere Mal auf die Sonne bezogen — verschieden, und auch diese beiden Beschreibungen waren bereits für Mach grundsätzlich gleichberechtigt. In diesem Punkte wenigstens kann also die neuere Relativitätstheorie keinerlei Schwierigkeiten machen: sie reiht sich ganz kontinuierlich an den bisherigen Entwicklungsgang der physikalischen Theorie an. Nur die Mechanisten, die diesen Gang nicht mitgemacht haben, fühlen sich in ihrer Stellung erschüttert und suchen sich dadurch zu behaupten, dass sie die neue Lehre für eine blosse Modeströmung erklären[1]).

Eine eigenartige Zwischenstellung zwischen den beiden Gruppen nehmen die Physiker der Lorentzschen Richtung ein. Sie kennen nicht zwei gleichwertige Beobachtungen, sondern nur eine richtige, die des ‚ruhenden‘ — für sie des absolut ruhenden — Beobachter. In diesem Punkte sind sie Vertreter der alten Schule, der Mechanisten. Gleichwohl verzichten sie auf eine ‚Erklärung‘ der Verkürzung des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Michelsonschen Apparate und sehen diese lediglich als eine Funktion, als einen Begleitumstand der Bewegung an, halten sich in diesem Punkte also zu dem Prinzip der Beschreibung. Dafür geben sie aber eine ,Erklärung‘ des Umstandes, dass der (absolut) mitbewegte Beobachter nichts von jener Verkürzung bemerkt: das liegt für sie daran, dass der Masstab, mit dem sie festzustellen wäre, selbst in die Bewegungsrichtung fällt und daher eine entsprechende Verkürzung erfährt.

Für die Relativitätstheorie dagegen liegt hier überhaupt kein Problem vor. Für sie ist es selbstverständlich — weil in ihren Grundvoraussetzungen enthalten —, dass für verschiedene Koordinatensysteme ‚dieselben‘ Vorgänge ein verschiedenes ‚Gesicht‘ zeigen können, gerade wie jeder beliebige ‚Körper‘ von jedem anderen Standpunkt aus in einer anderen sogenannten perspektivischen Verschiebung ‚erscheint‘. In dieser Anerkennung besteht eben die Relativitätstheorie. Sie will gar nicht mehr die eine absolute ‚Wahrheit‘ suchen, die eine ‚wahre‘ Gestalt ‚des‘ Körpers,

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/17&oldid=- (Version vom 7.6.2024)
  1. So Höfler, Didaktik der Himmelskunde. Teubner 1918, S. 931. — Gehrcke, Verhdlgn. der Deutsch. Physik. Ges. 14, 1912, S. 294, nennt die Relativitätstheorie sogar einen drolligen mathematisch-physikalischen Scherz. — Von besonderem psychologischen interesse ist die Schrift von Leo Gilbert, „Das Relativitätsprinzip die jüngste Modenarrheit der Wissenschaft. Brackwede i. W. 1914. Der Verf. entrüstet sich unter dem Titel einer „Wissenschaftlichen Satyre“ weidlich über die bösen Physiker, die ihm seine behaglichen mechanistischen Kreise von Kraft und Stoff Büchnerscher Observanz stören. Er weiss auscheinend nichts von dem heute allgemein angenommenen Machschen Massenbegriff und von den sonstigen erkenntnistheoretischen Grundlagen der modernen „phänomenologischen“ — besser positivistischen — Physik. So verfällt er — wie übrigens auch Höfler und Gehrcke — in den Fehler, den relativistischen Auffassungen und Formeln immer seine absolutistischen Anschauungen unterzuschieben, was natürlich den heitersten Unsinn ergibt.