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Einstein behielt die beiden gegen einander mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Systeme bei, hob aber den prinzipiellen Unterschied zwischen ihnen auf: jedes war dem andern vollständig gleichberechtigt, und was im System vom System galt, das musste auch vom System in bezug auf das System gelten. Die Beschreibung irgend eines Vorganges von dem einen System aus — mit Hilfe der Masstäbe und Uhren dieses Systems — wird im allgemeinen von der Beschreibung in Beziehung auf das andere System verschieden sein. Darin liegt aber kein Widerspruch, weil eben jedesmal eine andere Beziehung vorliegt. Die Aufgabe der Relativitätstheorie kann dann darin gesehen werden, dass sie zwischen den beiden Beschreibungen einen eindeutigen Zusammenhang ermittelt, so dass man leicht den Standpunkt wechseln und sich von ‚demselben‘ Vorgang zwei verschiedene Bilder entwerfen kann: eine für den ‚mitbewegten‘ Beobachter und eins für den ‚ruhenden‘. Die für den ersten Anblick so paradoxen Ergebnisse der Relativitätstheorie sind nun im Bilde des ‚ruhenden‘ Beobachters enthalten, in der Beschreibung, die der ‚ruhende‘ Beobachter von einem Vorgang im ‚bewegten‘ System entwirft. Das sogenannte ‚negative‘ Ergebnis des Michelsonschen Versuchs, das von der bisherigen absolutistischen Physik nicht erwartet war und als Enttäuschung empfunden wurde, hat seinen ‚negativen‘ Charakter auch nur dadurch erhalten, dass man diesen Versuch vom Standpunkte eines ‚ruhenden‘, nicht ‚mitbewegten‘ Beobachters aus ansah.

In Wirklichkeit kann man das freilich nicht, und man könnte auch gar nicht wissen, wie etwa die zwischen den Spiegeln hin- und hergeworfenen Lichtbündel bei diesem Versuch für einen neben der Erdbahn aufgestellten Beobachter sich verhalten würden, wenn man nicht aus dem Fizeauschen Strömungsversuch das Recht zu der Annahme herleitete, dass das eben anders sein müsste als für den ‚mitbewegten‘ Beobachter. Der Beobachter des Fizeauschen Versuchs ist prinzipiell in der Lage jenes Beobachters im Sonnensystem, der die Erde an sich vorbeifliegen sieht.

Ich will nun zunächst eine vollständige naturwissenschaftliche Analyse der mathematischen Grundgleichungen der Einsteinschen Theorie — der sogenannten Lorentz-Transformation — geben, die zugleich eine leicht verständliche Darstellung dieser Grundlagen sein dürfte. Sie findet sich in diesem Gang meines Wissens in der bisherigen Literatur noch nicht; verwandt dürfte ihr nur die Darstellung von La Rosa sein[1]).

11. Der Fizeausche Versuch hat die wohl alte Vorstellung befestigt, dass die Geschwindigkeit des Lichts im Vakuum eine universelle Konstante ist, unabhängig von der Bewegung der Lichtquelle, ganz allein eine Sache, wenn man so sagen darf: der Struktur des Vakuums selbst. Dieses dachte man sich als den absoluten unendlichen Euklidischen Raum, angefüllt mit dem nur wenig von den bewegten Körpern mitführbaren oder — so

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/12&oldid=- (Version vom 7.6.2024)
  1. La Rosa, Der Aether. Leipzig 1912, S. 94 ff.