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des Schöpfers der neuen Relativitätstheorie ist wohl zu beachten. Es handelt sich um ein Prinzip, um einen obersten Satz, um eine besondere Weise, die Tatsachen der Physik anzusehen, um eine Naturanschauung und zuletzt um eine Weltanschauung. Der relativistische Standpunkt ist an der Relativitätstheorie das Wesentliche, und wir müssen darauf achten, dass er folgerichtig bis in die letzten Ausläufer durchgeführt wird. Dies geschieht vielfach noch nicht, selbst bei hervorragenden Vertretern der neuen Lehre nicht. Die konsequente Durchführung wird wesentlich erleichtert, wenn wir die gesamte historische Lage beachten: die Linie Berkeley-Hume-Mach weist uns die Richtung und gibt uns den erkenntniskritischen Masstab in die Hand.

Bei dem schneidenden Gegensatz, in dem relativistische und absolutistische Anschauung stehen, hatte Einstein erwartet, dass die Lorentzsche Theorie ganz aufgegeben und durch eine vollständig neue ersetzt werden müsste. Zu seiner Ueberraschung war das nicht nötig. Er brauchte sie vielmehr nur ihrer absolutistischen Momente zu entkleiden — der absoluten „allgemeinen Zeit“ und der absoluten Verkürzung absolut bewegter Körper —, um das, was an ihr nur als Annahme ad hoc erschien — die Gestaltänderung der Körper und die Aenderung im Uhrgang — als ganz natürliche Konsequenzen des mathematisch formulierten Relativitätsprinzips zu erhalten.

Man könnte meinen, die Aufklärung dieses seltsamen Zusammenstimmens läge in dem, was wir noch eben (S. 8 f.) dargelegt haben: dass es im Grunde überhaupt gar nicht möglich sei eine Theorie aufzustellen, die absolutistisch ist und dennoch in ihren Formeln die Tatsachen trifft, dass also zuletzt jede mathematisch zutreffende Theorie relativistisch sei, weil sie ja immer nur auf ein in der Natur zu verankerndes Koordinatensystem angewendet werde, also auf die Erde, den Fizsternhimmel usw. Allein diese Bemerkung, so richtig sie ist, reicht hier nicht zu. Denn die Einsteinsche Theorie enthält die ihrer absoluten Momente entkleidete Lorentzsche nur als besonderen Fall, da für Lorentz sich nur jeder relativ zum Fixsternhimmel bewegte Körper verkürzen und auch nur jede so bewegte Uhr ihren Gang ändern würde. Die Aufklärung jenes Punktes liegt vielmehr, wie wir noch genauer sehen werden, darin, dass auch die Einsteinsche Lehre durchaus an das Ergebnis des Michelsonschen Versuchs anknüpft und sich ganz aus ihm ableiten lässt.

10. Lorentz hatte zur Aufhellung dieses Versuchs bereits zwei Koordinatensysteme benutzt: ein allgemeines, absolutes, im absoluten Raume oder wenigstens mit dem Aether fest verankertes, und ein besonderes, an die in jenem Raume bewegte Erde oder an den mit dieser fest verbundenen Michelsonschen Apparat geknüpftes. In der praktischen Wirklichkeit war jenes an den Fixsternhimmel gebunden zu denken. Ausserdem galt in ihm die allgemeine, absolute Zeit, während das im absoluten Raume bewegte System nach „Ortszeit“ rechnete.

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Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/11&oldid=- (Version vom 7.6.2024)