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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

lehre, und ihn nicht mit dieser verschenken konnten; oder daß vielmehr nur sie mit ihrer besonderen Einrichtung auf diesem dürren Erdreich hatten wachsen können, weil sie die Nahrung aus den freien Himmelslüften zogen. Sie war vergeblich hergekommen; das Herz zog sich ihr zusammen, daß es beinahe still zu stehen drohte, und sie lehnte sich auf ihrem hölzernen Stuhle zurück, um sich zu erholen, während die Predigerinnen immer noch fortsprachen. Sie erholte sich auch nach und nach, war aber immer noch weiß, wie die getünchte Wand ringsumher, und suchte sich zu besinnen, wie sie, ohne die Frauen zu kränken, die Sache beendigen und fortkommen könne.

Plötzlich ertönte vor der Thüre ein häßlicher Schrei, wie wenn einer Katze auf den Schwanz getreten würde. Erschreckt eilte Agathchen hin und öffnete die Thüre, daß das volle Licht in die dunkle Vorkammer drang, und man sah einen schlanken hochgewachsenen Mann, welcher das Oelweib an der Kehle festhielt und ein Weniges an die Wand drückte. Beschämt und verlegen ließ er die Hexe aber sogleich wieder frei, als das Licht auf die Scene fiel, und auch aus Eckel, weil sie ihm in der Angst und Wuth auf die Hand geiferte, die er nun abwischte. Jetzt ließ sich aber ein wohltönender Ausruf hören von Seite Justinens her, welche in dem Manne den

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/519&oldid=- (Version vom 31.7.2018)