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Johann Theophilus Walz: Die Lesung derer Romans, als ein sehr bedenkliches Mittel seine Schreibart zu verbessern |
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Gilead, eine gründliche, ungezwungene, angenehme und den Leser reizende Beredtsamkeit zu erlangen? Wir sagen: ja. Wollen wir Anleitungen und Muster zu dieser edeln Wissenschaft haben, so sind Mittel genug vorhanden. Unsre jetzigen Geistlichen arbeiten meistentheils ihre heiligen Reden mit dem größten Fleiß aus, sie geben sich alle Mühe, sie nach den Grundsätzen der Sprachlehre und Redekunst einzurichten, ihre gedruckten Kanzelreden haben die so genannten Postillen gänzlich unsichtbar gemacht. Die Rechtsgelehrten selbst, befleißigen sich, ihren Sätzen eine Zierde zu geben, und wer sich nur ein wenig von dem Pöbel entfernen will, befleißiget sich auch in den kleinsten Handbriefgen und täglichen Unterredungen sich deutlich, ordentlich, und ungezwungen auszudrücken.
Hieraus sieht man nun deutlich, daß Quellen im Ueberflusse vorhanden sind, auf eine unschuldige Art erhaben, prächtig, und doch ungezwungen reden, denken und schreiben zu lernen, und zwar aus Schriften, in welchen nicht nur die Worte, sondern auch die Sachen nützlich seyn, auch sonsten nichts bedenkliches enthalten ist.
Ihr, Hochzuehrender Herr Magister, gar nicht zur Strenge, sondern vielmehr zur Güte und Leutseligkeit geneigtes Gemüthe verbietet uns gar nicht die Lesung derer Romans: denn verbotene Bäume machen eine lüsterne Eva nur noch begieriger, ja Sie lesen selbst, in einigen außerordentlichen Stunden, einen mit uns, den die geschickte Feder des Herrn von Fenelon vollkommen gut ausgearbeitet hat,
Johann Theophilus Walz: Die Lesung derer Romans, als ein sehr bedenkliches Mittel seine Schreibart zu verbessern. Breitkopf, Leipzig 1759, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Lesung_derer_Romans,_als_ein_sehr_bedenkliches_Mittel_seine_Schreibart_zu_verbessern.djvu/10&oldid=- (Version vom 6.6.2018)