Ich bin keine Russin, wenigstens keine ganze. Meine Mutter war eine Grusierin. Byzantinisches Kaiserblut war in ihr. Mein Vater trägt einen russischen Fürstennamen, aber seine Familie stammt aus Turkestan. Wildes und uralte Kultur ist meine Erbschaft. Darum bin ich nirgends zu Hause, überall fremd. Am fremdesten aber unter russischen Bauern, die nach Freiheit grunzen, und unter Schweizer Eidgenossen, die sich eine Freiheit zusammengekleistert haben aus hunderttausend Unfreiheiten. O diese Pfahlbürger der Freiheit, wie ich sie hasse! Und zu denken, daß wir drüben in Rußland hierher starren, wie zum gelobten Lande! Daß wir hier das goldene Alter lebendig glauben.
– Das ist allerdings ein beträchtlicher Irrtum, erlaubte ich mir zu bemerken, ganz abgesehen davon, daß die Freiheit, die du meinst, außerhalb aller Menschenmöglichkeit liegt in unsrer Zeit.
Rede nicht wie ein deutscher Hauslehrer, rief sie. Das ist es ja, was mich rasend macht! –
Otto Julius Bierbaum: Die Haare der heiligen Fringilla. München: Albert Langen, 1904, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Haare_der_heiligen_Fringilla.djvu/108&oldid=- (Version vom 31.7.2018)