Ich habe das eine Leben gekannt, wie das andere.
Der Herr: Auch diese schönen Lippen öffnen sich? O holdselige Nacht, die es mich vernehmen läßt, von welch vollem und doch zartem Klang die Worte sind, die aus dem Granatapfelfleische dieses Mundes kommen. Zwar, Signora, bin ich kein Dottore, aber gelehrig will ich den Lehren lauschen, die Ihr, hoffe ich, so gnädig sein werdet, mir zu geben.
Die junge schöne Venezianerin: Wie, Signor, Ihr seid kein Dottore? Ist nicht jeder Deutsche ein Dottore? O! Hahaha! Ich muß noch lachen, denke ich an den Deutschen, der einmal zu mir kam in mein Kasino, es war im allerschönsten Mai und ich so jung, daß ich im Frühling mein Blut noch rauschen hörte, und der Deutsche kam mit seinem viereckigen Barte, seiner geraden Nase, seinen großen blauen Augen, stark wie ein schöner Fuchshengst, unter den Achseln riechend nach Mann und Kraft und Gesundheit, Hände, so groß wie ein Blatt der Musa, aber schön, fest und warm, und einen
Otto Julius Bierbaum: Die Haare der heiligen Fringilla. München: Albert Langen, 1904, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Haare_der_heiligen_Fringilla.djvu/079&oldid=- (Version vom 31.7.2018)