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Begründet im Jahre 1837 von Herrn August Götze, – dem Zeitgenossen und einstigen Associé von Richard Hartmann, – befaßte sich die Firma zunächst mit dem Bau von Spinnerei­-Maschinen, und zwar solcher für Streichgarnspinnerei, welche Maschinen in der Folge die erste Spezialität des Etablissements wurden. Die Nachfolger im Besitze, die Herren Ernst und Theodor Wiede, fügten später noch den Bau von Baumwollfeinspinnereimaschinen hinzu. Bald darauf wurde das Vigognegespinnst eingeführt, ein Gemisch aus Wolle und Baumwolle, welches so außerordentlichen Anklang fand, daß die Fabrik sich eine Zeit lang ausschließlich dem Bau der hierzu erforderlichen Maschinen widmen konnte. Bekannt ist, daß die Vigogne speziell sächsische Erfindung ist, und daß England, obwohl auf dem Gebiete des Spinnereimaschinenbaues tonangebend, noch heute nicht in der Lage ist, Sachsen im Bau von Maschinen jener Spezialität erfolgreich Konkurrenz zu machen. Diese Thatsache ist in erster Linie auf die Vorzüglichkeit der Theodor Wiede’schen Fabrikate zurückzuführen.

Eine weitere sächsische Spezialität, welche gleichfalls, fast ausschließlich dem Theodor Wiede’schen Etablissement ihren Ursprung und ihre Konkurrenzfähigkeit verdankt, ist die Herstellung des Barchentgarnes, das, aus Baumwolle bezw. deren Abfällen erzeugt, auf den für Vigogne gebräuchlichen, bezw. ihnen verwandten Maschinen hergestellt wird. Auch in diesem Artikel haben sich die englischen Fabriken wiederholt versucht, ohne indes nennenswerten Erfolg zu verzeichnen.

Anders in der Baumwollspinnerei! Hier sind die Engländer infolge ihrer günstigen Lage immer weiter vorgeschritten und beherrschen heute fast ausschließlich den Weltmarkt. Die sächsischen, bezw. Chemnitzer Maschinenfabriken gaben daher die Fabrikation der Baumwollen­-Spinnmaschinen nach und nach wieder auf; Theodor Wiede’s Maschinenfabrik allein hielt Stand und ist zur Zeit noch die einzige deutsche Fabrik, welche es, allerdings nicht ohne Opfer, dahin gebracht hat, ihre Maschinen weiter liefern zu können. Viel trägt zur Niederlage dieser Branche in der deutschen Maschinenfabrikation der geringe Eingangszoll bei, der auf englische Erzeugnisse erhoben wird. Theodor Wiede’s Maschinenfabrik wird indes den Bau der Baumwollspinnerei­-Maschinen nicht aufgeben, wie andere Werke, sondern hofft, ihn durch zu vervollkommnende Einrichtungen und Einführung neuer Konstruktionen nach und nach wieder lukrativ zu machen. Hinzugefügt sei bei dieser Gelegenheit, daß, während Deutschland dem englischen Maschinen-Import gegenüber nahezu machtlos ist, der hohe Schutzzoll Rußlands den Export in jenes Land, welches früher ein reger, nicht zu unterschätzender Abnehmer war, bedeutend erschwert.

Während es auf der einen Seite der Firma gelang, von Anfang an die Fabrikation von Spinnereimaschinen durch Erzeugung von nach jeder Richtung hin vollendeten Systemen zu ihrer Spezialität zu machen und dergestalt der sächsischen, vor allem Chemnitzer Spinnereiindustrie als Grundlage zu dienen, eröffnete andererseits die vermehrte Einführung der Dampfkraft im Gewerbebetrieb ihr ein neues, fruchtbares Arbeitsfeld. Sie nahm in der Folge, um in der Lage zu sein, die Einrichtung vollständiger Spinnereianlagen auszuführen, auch die Fabrikation von Dampf­-Maschinen und Transmissionen in den Rahmen ihres Betriebes auf. Auch hier hat Theodor Wiede’s Maschinenfabrik, Aktien-Gesellschaft, Erfolge zu verzeichnen, die dem Etablissement einen Ehrenplatz innerhalb der sächsischen Großindustrie verschafften und es tonangebend machten. Es erreichte, indem es durch Vervollkommnung der Konstruktion den immer mehr wachsenden Forderungen auf Ausnutzung der Dampfkraft entgegen kam, in seinen Erzeugnissen die höchste Stufe der Vollendung, so daß es sich heute, wie schon hervorgehoben, mit den bedeutendsten Spezialwerken dieser Branche aus gleicher Höhe befindet.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Zweiter Teil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1893, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_2.pdf/434&oldid=- (Version vom 23.2.2020)