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Es blieb unter solchen Umständen nichts übrig, als das Geschäft aufzugeben oder die Fabrikation anderer Artikel, für welche die vorhandenen Webstühle mit benutzt werden konnten, aufzunehmen. Zwar war es schwer, einen Entschluß zu fassen, war doch Herr Marx bereits 70 Jahre alt, und erforderte der Übergang zu anderen Fabrikationszweigen voraussichtlich die Festlegung größerer Kapitalbeträge behufs Anschaffung von Maschinen und Errichtung von Bauten, indessen entschloß sich der am 16. April 1886 von Sr. Majestät dem König Albert zum Kommerzienrat ernannte Herr Marx doch zur Fortführung des von ihm gegründeten Geschäfts und zur Wiederaufnahme der seiner Zeit aufgegebenen Fabrikation von baumwollnen Rock- und Hosenstoffen.

Die Wiedereinführung dieses Fabrikationszweiges ist denn auch mit Mühe und nicht ohne Opfer gelungen; galt es doch einen ganz anderen Kundenkreis zu gewinnen und mit einer hochentwickelten und außerordentlich leistungsfähigen Konkurrenz, welche für Herstellung des Artikels vorzüglich eingerichtet war und der vieljährige Erfahrungen und große Kapitalien zur Seite standen, in die Schranken zu treten; es ist dadurch aber auch möglich geworden, ein zahlreiches Arbeiterpersonal weiter zu beschäftigen.

Nachdem in den Jahren 1886 und 1887 die erforderlichen Hilfsmaschinen angeschafft worden waren, konnte mit der Herstellung von baumwollnen Hosenstoffen begonnen werden. Nebenbei wurden und werden heute noch Orleans, soweit sich Bedarf dafür zeigt, und ebenso auch baumwollne Kleiderstoffe hergestellt. Das Absatzgebiet der erzeugten Waren erstreckt sich über ganz Deutschland, Zentral- und Süd-Amerika, sowie einzelne Kolonien in Asien.

In den letzten Jahren wurden durchschnittlich 450 Arbeiter im Fabrikgeschäft und 20 Arbeiter in der mit dem Geschäft verbundenen Landwirtschaft beschäftigt. Für den Betrieb der mechanischen Weberei mit 340 Webstühlen und der vielen Hilfsmaschinen ist eine Dampfmaschine von 180 Pferdekräften, für den Betrieb der Färberei eine solche von 40 Pferdekräften aufgestellt. 3 Dampfkessel mit zusammen 310 Quadratmetern Feuerfläche erzeugen die erforderliche Dampfkraft. – Die Beleuchtung erfolgt durch eine eigene Gasanstalt, in welcher Paraffinöle vergast werden. Gegen Feuersgefahr ist eine Fabrikfeuerwehr ins Leben gerufen worden.

Im Interesse der Arbeiter wurde bereits 1865 eine Krankenkasse auf der Basis, daß die Firma ¼ der Beiträge der Mitglieder zahlte, errichtet, auch die Errichtung einer Fabriksparkasse im Jahre 1871 in der Weise begünstigt, daß die Einlagen, welche gegenwärtig den Betrag von 27 000 Mark erreichen, von der Firma zur Verzinsung übernommen und zu einem etwas höheren, als dem gewöhnlichen Zinsfuße verzinst werden.

Obwohl von einer Beteiligung an Ausstellungen in der Regel abgesehen wurde, sind ausnahmsweise doch diejenigen zu London 1862 und zu Melbourne 1880–1881 beschickt worden und haben der Firma ehrenvolle Auszeichnungen eingetragen. Eine besondere Auszeichnung wurde der Firma noch dadurch zu teil, daß Se. Majestät der hochselige König Johann im Juni 1863 die damals erst erbaute und noch nicht vollständig eingerichtete Fabrik mit seinem Besuche beehrte.

Im April 1892 war dem Gründer und bis dahin alleinigen Inhaber der Firma das seltene Glück beschieden, das 50jährige Jubiläum der Gründung seines Geschäfts begehen zu können. Aus Anlaß dieses Jubiläums nahm der Kommerzienrat Herr Heinrich Robert Marx seine beiden Enkel die Herren Gottwald Felix Freude und Paul Arthur Freude, sowie seinen bisherigen Prokuristen, Herrn Karl Gottlieb Grüllich als Teilhaber in sein Geschäft auf und überwies ein Kapital von 50 000 Mark zur Errichtung einer Arbeiter-Unterstützungskasse. – Bei der offiziellen Feier des Geschäftsjubiläums, welche wegen eines den Jubilar betroffenen schweren Unfalls erst am 2. August 1892 begangen werden konnte, wurde der bisherige Prokurist und nunmehrige Mitinhaber der Firma, Herr Grüllich, durch Überreichung des ihm von Sr. Majestät dem König Albert gnädigst verliehenen Ritterkreuzes 2. Klasse vom Albrechtsorden und ein Arbeiter, welcher der Firma ebenfalls länger als 30 Jahre treu gedient hatte, durch Verleihung der silbernen Medaille für Treue in der Arbeit ausgezeichnet.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/268&oldid=- (Version vom 23.2.2020)