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Kaum aber hatte der thätige Mann angefangen, von den Früchten seines Fleißes zu ernten, da traf ihn ein harter Schlag. Bei dem großen Brande von Oschatz im Jahre 1842, welcher mehr als die Hälfte der Stadt, darunter Kirche und Rathaus, in Asche legte, war auch das von ihm im Jahre 1838 käuflich erworbene Grundstück ein Raub der Flammen geworden. Vom Jahrmarkte heimkehrend, fand er Alles, was er in jahrelangem Ringen mit Fleiß, Mühe und Sparsamkeit geschaffen, vernichtet und die Seinen mit nur wenigen geretteten Waren und Habseligkeiten inmitten der anderen Unglücklichen obdachlos auf freiem Felde. Mittelloser als je zuvor, blieb Herr Ambrosius Marthaus dennoch ungebeugt und begann sein Werk von Neuem. Es gelang ihm, auf der, kurz nach jenen Unglükstagen folgenden Leipziger Michaelismesse die wenigen geretteten und seitdem neu angefertigten Waren vorteilhaft zu verkaufen und außerdem eine Anzahl neuer Aufträge zu erhalten. Freilich mußten dieselben unter den schwierigsten Umständen zur Ausführung gebracht werden, da der Neubau, welcher an Stelle des eingeäscherten Gebäudes trat, erst im folgenden Jahre vollendet wurde. Die Entwickelung des Geschäftes nahm von jetzt ab einen ungeahnten Aufschwung. Mit der Vergrößerung des Satteldeckengeschäftes machte sich die Anlage einer eigenen Färberei und Druckerei notwendig. Dies führte freilich – was als Kuriosum aus jener Zeit erwähnt zu werden verdient – zu Konflikten mit der Färber- und demzufolge auch mit der Schuhmacher-Innung, indem dieselben den Betrieb der Färberei und Druckerei, sowie die Herstellung genähter Filzschuhe als zu ihren Berufen gehörig, nicht dulden wollten und gegen Herrn Ambrosius Marthaus einen Prozeß anstrengten, welcher aber nach jahrelangem Streit mit Rücksicht auf den „fabrikmäßigen“ Geschäftsbetrieb zu seinen Gunsten entschieden wurde.

Die fortschreitende Entwickelung des Unternehmens bedingte auch vermehrte Arbeitskräfte und diese wurden gefunden in der Königlichen Strafanstalt zu Waldheim, in welcher 25 Jahre lang – von 1852 bis 1877 – viele Sträflinge mit der Herstellung von Filzschuhen, Filz- und Satteldecken für die Firma beschäftigt gewesen sind. Die hierdurch wesentlich erhöhte Produktion wirkte gleichzeitig zu Gunsten der Haus-Industrie, welche sich immer mehr ausbreitete und zahlreichen Familien nicht nur in Oschatz selbst, sondern auch in den Nachbarorten lohnenden Verdienst gewährte.

Am 31. Oktober 1869 trat Herr Ambrosius Marthaus von dem Geschäft, das er 35 Jahre lang mit unermüdlichem Eifer geleitet, dem er seine ganze Kraft gewidmet hatte, zurück und legte es in die Hände seines ältesten am 6. December 1842 geborenen Sohnes. Nicht lange aber sollte er die wohlverdiente Ruhe genießen, denn am 26. Februar 1875 ging er – ein leuchtendes Vorbild seiner Nachkommen – zum ewigen Frieden ein.

Der nunmehrige Inhaber des Geschäfts, welcher ebenfalls den Familien-Erbnamen Ambrosius trägt, hat sich, gleich seinem Vater, als „Wanderbursch“ tüchtig in der Welt umgesehen und diejenigen Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt, welche dem Unternehmen zu so reichem Segen verholfen haben und ihm eine glückliche Zukunft verheißen.

Durch die verschiedenen Perioden der Unruhen und des Krieges nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, gedieh das Geschäft zu immer größerer Blüte. Bereits im Jahre 1866 hatte die Verlegung desselben von der Hospitalstraße nach der Breitenstraße in die daselbst neuerbauten Fabrikräume stattgefunden; 1872 wurde hier ein angrenzendes Grundstück hinzugekauft und nun Dampfanlage geschaffen. Zweckmäßige Hilfsmaschinen, meist eigener Konstruktion des jetzigen Besitzers, wurden in Betrieb genommen und dadurch die Möglichkeit geboten, auch den weitgehendsten Ansprüchen, welche man an die Fabrikate stellen kann, zu genügen. Im Jahre 1876 wurde die damalige Aktienspinnerei an der Promenade erworben und mit zur Filzfabrikation eingerichtet. Aber alle diese Räumlichkeiten erwiesen sich in der Folge als unzureichend; es wurden daher 1887 die Verwaltungs- und Lagergebäude in der Breiten Straße abgebrochen und durch einen größeren Neubau ersetzt, auch im Grundstück an der Promenade ein großes dreistöckiges Fabrikgebäude aufgeführt.

In Bezug auf die Fabrikleitung wollen wir bemerken, daß seit 1879 der jüngere Bruder des Inhabers, Herr Hugo Marthaus, als Teilhaber in das Geschäft eingetreten ist.

Es erübrigt noch, der Einrichtung der Fabrik eine kurze Abhandlung zu widmen, um das Gesamtbild zu vervollständigen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/262&oldid=- (Version vom 23.2.2020)