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Ernst Geßner in Aue,
Maschinenfabrik und Eisengießerei.

Die genannte Fabrik giebt ein erfreuliches Bild echt erzgebirgischer Ausdauer, Strebsamkeit und Arbeit; hervorgegangen aus den epochemachenden Erfindungen ihres Begründers bezeugt sie die Schaffenskraft des menschlichen Geistes, wenn derselbe sich den fruchtbringenden Ideen der Industrie mit Ernst und Hingabe widmet.

Ernst Geßner’s Etablissement, im Jahre 1850 begründet, war die erste Maschinenfabrik im „Auer Thale.“ Dieselbe hat seit der Zeit ihres Bestehens eine große Anzahl intelligenter Zöglinge herangebildet, die nicht nur in Aue, sondern über das engere und weitere Vaterland verstreut spätere Wirksamkeit gefunden; sie hat aus der fleißigen Bevölkerung heraus einen strebsamen und geschulten Arbeiterstamm aufgezogen und darf somit als Ursprung und Pflanzstätte für die hochentwickelte und in schönster Blüte stehende Maschinen-Industrie des Auer Thales bezeichnet werden.

Ernst Geßner, als einziger Sohn einer braven Tuchmacherfamilie in Lößnitz geboren, besuchte die dortige Bürgerschule und erlernte darauf, obwohl sein Sinn von Jugend an auf Mechanik und Technik gerichtet war, auf Wunsch seiner Eltern das väterliche Gewerbe. Er ging zu seiner Ausbildung als Tuchmacher in die Fremde, war u. A. in Crimmitschau, Großenhain und Brünn thätig und empfing daselbst vielfache Anregungen und bleibende Eindrücke, welche ihn, kaum nach Hause zurückgekehrt, veranlaßten, seinem ersten segensreichen Gedanken Leben und Gestalt zu geben, indem er in seiner Vaterstadt Lößnitz, welche bis dahin nur billige melierte Tuche geliefert hatte, die Fabrikation von Buckskinstoffen und zwar in doppelbreiter Ware einführte. Diese Stoffe waren bislang nur in 4/4 Breite erzeugt worden und werden heutzutage überall in Doppelbreite fabriziert.

Der Wunsch, dieser Fabrikation eine größere Ausdehnung zu geben, veranlaßte Ernst Geßner in der politisch aufgeregten Zeit von 1848/49, im festen Vertrauen auf baldige Wiederkehr geordneter Zustände, ein großes, am Muldenflusse belegenes Fabrikgrundstück in Aue käuflich zu erwerben und dorthin, nach der Stätte seines jetzigen Wirkens, überzusiedeln.

Die Schwierigkeiten, welche ihm das Anlernen neuer und in der Tuchmacherbranche unerfahrener Arbeiter bereitete, sowie die in damaliger Zeit noch unvollkommenen Hilfsmaschinen weckten in Ernst Geßner das dringende Verlangen nach besseren maschinellen Einrichtungen. Seine nie vernachlässigte Neigung für Mechanik in Verbindung mit der genauen Kenntnis der von der Tuchbranche gestellten Anforderungen gaben ihm den Gedanken zu seiner „Doppel-Rauhmaschine“, eine Erfindung, die für die ganze Textil-Industrie hochbedeutsam ist.

Diese Maschine, welche 1854 in Sachsen und in vielen andern Ländern patentiert und nicht nur auf dem Kontinent, sondern auch in England und Amerika gebaut wurde, führte sich ungemein schnell ein und ist noch heute als Geßner’s Doppel-Rauhmaschine mit vierfachem Anstrich der Ware, mechanischer Breithaltung und endlosem Tuchgang überall bekannt und hochgeschätzt; hat sie doch circa 75% der sonst für den Rauhprozeß erforderlichen Hände entbehrlich gemacht, indem sie den Arbeitern die geisttötende Handarbeit des fortwährenden Breithaltens der Ware erspart.

Da Geßner’s Fabrik, wie bereits erwähnt, nur auf Buckskin-Fabrikation berechnet war, so mußte der Bau der Rauhmaschine solange an verschiedene andere Maschinenfabriken vergeben werden, bis das Etablissement für Maschinenfabrikation eingerichtet war.

In den Jahren 1857–61 erhielt der unablässig nach Verbesserungen strebende Geßner zwei weitere sächsische Patente auf seine „endlose Band- und Pelzbildung an der Reißkrempel“ und seinen „Florteiler für die Vorspinnkrempel“, Erfindungen, die seit den 28 Jahren ihres Bekanntseins ihren Weg durch die ganze Welt und im Verein mit der Rauhmaschine den Namen „Geßner“ zu einem populären für die ganze Textil-Industrie gemacht haben!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/137&oldid=- (Version vom 23.2.2020)