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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Weihnachtsfeier in einer Spreewaldschule.

(Zu dem Bilde S. 813.)

Zu den anmutigsten Erscheinungen im Volksleben der Mark zählt noch immer das lustige, buntfarbige Treiben der Bewohner des Spreewalds. Die kleinen wie die großen Mädchen, die junge Mutter wie die Matrone: noch hängen sie hier fest an der ererbten Tracht ihrer Vorfahren und bilden darum im Rahmen dieser so eigenartigen Landschaft dem Maler wie Poeten fort und fort die reizvollsten Motive. Man kann sich gar nichts Lustigeres denken, als wenn so ein Kahn unter dem grünüberwölbten Blätterdom eines Kanals einhergeschwommen kommt, dicht angefüllt mit der buntfarbigen, schnatternden kleinen Kinderschar, welche der Kahnführer zur Schule geleitet. Da und dort macht er im kleinen Hafen vor einem netzumhangenen Blockhause noch flüchtig Halt, mit einem hellen Gruße steigen ein oder mehrere kleine Menschenkinder hinein, und weiter geht’s hin auf stiller, feierlich von ehrwürdigen Erlen überrauschter Wasserbahn. –

Der Spreewald in seiner Eigenart steht einzig da auf unserem Planeten. Jedes Dorf ist ein ländliches Venedig; jedes Anwesen ein kleines, wasserumspültes Reich für sich: auf einer schilfbekränzten Insel unter Erlen und Weiden ein auf untergelegten Felsblöcken derb gezimmertes Blockhaus, von Kürbis, Pfeifenkraut und anderem Schlingkraut umwuchert, von Netzen, Bienenkörben, Fischkästen malerisch umgeben. Keine Landstraße finden wir hier. Peitschenknall und Hufschlag tönen nicht im Spreewalde. Allen Verkehr vermittelt allein der Kahn. Er ist die zweite Heimat des Spreewäldlers. Zur Taufe, zur Schule, zum Tanz im Wirtshause, zum Grabe, immer nimmt ihn der Kahn auf. Alle verstehen ihn zu lenken. Zur Spinnstube geht’s in ihm, der Jäger beschleicht in ihm das Wild, Gendarm, Hausierer, Pfarrer, Briefträger, Nachtwächter, der böhmische Spielmann, Handwerker, Knechte und Mägde – alles muß sich des Kahnes hier bedienen. Das aber giebt dem Leben einen so seltsam poetischen Reiz. Stundenlang zwischen den Inseln, den herrlichen, dicht mit Unterholz durchsetzten Erlenwäldern dahinzugleiten, ist ein tiefer, poetischer Genuß. Das Kommen und Gehen der Wasser, Wellenrauschen und leiser Ruderschlag, Nebelduft und Abendflimmer, das lautlose Huschen von Kähnen und Menschen, vor uns, neben uns, zwischen dem aufraschelnden Ufergestrüpp, dazu Erlensäuseln und fernes Glockentönen: es ist, als halle dies alles wieder in den schwermütigen, sanften Liedern des Wendenvolkes.

Nur während der Winterszeit stockt der Kahnverkehr im Spreewalde. Sobald der Frost die Kanäle und meilenweiten Wiesenflächen mit eisiger Decke überzieht, beginnt auf glitzernder Bahn ein noch lebhafteres Treiben. Schlittschuhe, Schlitten und Eispike treten in ihre Rechte. Aus den Nachbarstädten kommt man gewallfahrtet, um jauchzend den Spreewald in seiner Winterpoesie zu genießen.

Daß ein solch merkwürdiges Stückchen Erde auch noch viel seiner altehrwürdigen Gebräuche sich aufbewahrte, darf darum auch nicht wunder nehmen. Hier leben noch Sagen und Märchen, freilich auch tiefeingewurzelter Aberglaube, hier vollzieht sich im Kreislauf des Jahres noch manch schöner Brauch, reich an poetischem und tiefdeutigem Inhalte.

Namentlich im Winter, wenn die Feldarbeit ruht und das junge Volk in den Spinnstuben sich sammelt, werden die alten Geister wieder lebendig. Der „graue Mann“ hat die Erde mit dem Winterkleide zugedeckt. Dichte Nebel wallen umher, und zu dieser Zeit, da die Wege unsicher werden, fordert der Nix seine Opfer, und der „Bud“ (Irrlicht, Irrgeist) lockt die Menschen auf gefährliche Abwege. Je näher die Weihnachtszeit heranrückt, desto dichter zieht sich der Kreis alter abergläubischer Ueberlieferungen zusammen. Die stille Winterszeit stimmt den Spreewäldler zum Nachdenken, und nun übt er gerne die zauberhaften Künste, welche dem sterblichen Auge die Zukunft enthüllen sollen. Da schreitet eine junge Magd am St. Andreasabend in den Garten, bleibt vor dem Kirschbaum stehen und bricht stillschweigend von ihm Zweige. Stillschweigend kehrt sie in ihr Kämmerchen zurück und stellt die Reiser in einen Krug mit Wasser und denkt sich etwas dabei. Blühen die Zweige zu Weihnachten, so wird im nächsten Jahre das, was sie gedacht und sich gewünscht hat, in Erfüllung gehen.

Die neun Tage vor Weihnachten sind besonders geeignet, um die Zukunft zu befragen; man errät sie aus Holzspänen, die man nach Vorschrift sammelt und verbrennt, aus dem Wasser das man in der Ofenblase quirlt, und aus dem Gebell der Hunde. Was die Geister den Menschen enthüllen, bezieht sich fast immer auf Hochzeiten, Geburten und Todesfälle, die im kommenden Jahre sich ereignen sollen.

Auch an die Bereitung der Speisen für den Heiligen Abend knüpft sich mancher alte Brauch. Auf den Tisch wird Stroh gelegt und darüber ein Tischtuch gebreitet. Darauf setzt man die Christkuchen und neunerlei Speisen, die man essen soll, wenn man im kommenden Jahr vor Krankheit und Ungemach bewahrt werden will. Zumeist werden Butter, Salz, Schmalz, Pflaumenmus, Sirup, Quark, Wurst, Quarktunke, Brot und Fleisch vorgesetzt; man kann aber auch andere Gerichte wählen. An manchen Orten ißt man am Heiligen Abend Heringssalat, aber auch darin sollen neunerlei Zuthaten sein.

In dieser bedeutungsvollen Zeit umwickelt der Mann die Obstbäume mit Stroh, damit sie reichlich tragen, und stellt allerlei Beobachtungen an, um die Witterung der einzelnen Monate im kommenden Jahre zu ermitteln.

Früher schlossen sich an diese Bräuche farbenprächtige Umzüge; leider sind sie auch im Spreewald, wie in anderen Gegenden, in Vergessenheit geraten. Aber eine liebliche und ans Herz rührende Sitte hat sich noch erhalten. Es ist dies die Weihnachtsfeier, wie sie die Kleinen des Spreewaldes in der Schule heute noch begehen. Auf dem Tisch des Lehrers im Schulzimmer hat man einen lichtergeschmückten Christbaum aufgestellt. Sein Glanz erhellt den schlichten Raum und zaubert echte Weihnachtsstimmung hinein, die aber noch erhöhtere Freudigkeit empfangen soll.

Von allen Seiten nahen auf den dunklen Kanälen Kähne, welche die liebe Schuljugend herbeiführen. Jungen und Mädchen eilen herbei. Ein jedes trägt ein brennendes Lichtlein in der Hand. Das überstrahlt glücklich lachende Gesichter und wirft matten Lichtschein zu den winterlich überschneiten Erlen und Büschen. Das ist ein Trippeln, Huschen und Schieben in die Schulstube hinein, wo der freundliche Lehrer ihrer schon harrt. Aus frischen Kehlen braust ein Weihnachtslied durch den Raum. Dann erzählt ihnen der Lehrer von der Bedeutung des Heiligen Abends. Noch ein Schlußlied aus dem Gesangbuche, die Feier ist beendet und heimwärts geht’s wieder durch Nacht und Schnee.

Zu Hause legt ein jedes Kind ein Stück Kuchen auf den Tisch. Das ist heiliger Brauch, es gehört dem Christkinde. Darauf geht’s mit klopfendem Herzen und hoffnungsfroh zu Bette. Am andern Morgen nämlich liegt auf dem Tische alles, was das Kinderherz an Spielzeug und Leckerbissen sich wünschte. Das Stück Kuchen aber ist verschwunden, das hat das Christkind freundlich für sich mit fortgenommen. A. Trinius.     




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