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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Zukunft glaube! Wäre ich vor Sie hingetreten und hätte Ihnen gesagt: nehmen Sie alles, was Sie zu Ihrem Studium brauchen, von mir, aus meiner Hand entgegen – hätten Sie es gethan? Sie schütteln den Kopf! Ich wußte es. Aber wenn ich ein Mann und Ihr Freund gewesen wäre …. Sie hätten sich das ruhig gefallen lassen. Von mir, wie ich einmal bin – nicht!“

„Ganz recht – von Ihnen – wie Sie einmal sind – nicht!“ Raimund betonte jedes einzelne Wort schwer.

„Sie brauchen ja das jetzt auch nicht, die Pein bleibt Ihnen erspart!“ sagt Alix mit herber Stimme. „Das Schicksal kommt Ihrem Stolz zu Hilfe, wie Sie sehen. Ihr Schuldner kann Ihrem Vater in der That aus eigenen Mitteln seine Schuld zurückerstatten und meine Großmut braucht Sie nicht zu drücken!“

„Ohne diese Ihre Großmut, die Kaution, die Sie für ihn stellten, wäre er nie in stand gesetzt worden, das zu thun!“

„Vielleicht doch! Vielleicht nicht! Warum war ich so thöricht, Ihnen überhaupt nachträglich die Wahrheit zu bekennen?“ rief Alix heftig.

Sie bereute es unmittelbar darauf; ein eigentümliches Lächeln ging über Raimund Hagedorns blasses, erregtes Gesicht, und seine Augen fingen an, zu strahlen, als er langsam wiederholte: „Und was bewog Sie, mir nachträglich die Wahrheit zu bekennen?“

Sie raffte sich energisch zusammen.

„Dazu bewog mich in erster Linie mein Stolz, den ich habe, so gut wie Sie, zu dem ich mich bekenne, so gut wie Sie! Im ersten Impuls meines Mitempfindens bin ich auf das einzige Mittel verfallen, das mir zu Gebot stand, und es schien mir damals gut. Aber jahrelang mich verstellen müssen – Komödie spielen, Ihnen und auch andern gegenüber, das hätte ich schwerlich können, und hätt’ ich es auch gekonnt, ich hielte es meiner und – Ihrer für unwürdig! Dazu bewog mich aber auch meine Freundin Maria Laurentius, die mein oberster Gewissensrat ist und die mich warnte vor solchen Heimlichkeiten, die stets ans Licht kämen – nur niemals so, wie sie sollten, wie sie beabsichtigt wären. Was mich zuletzt bewog – das war –“

„Nun?“ Er neigte sich in seinem Sessel vor und sah ihr nahe ins Gesicht.

„Wir sind einander näher getreten in dieser Zeit“ – sie redete jetzt langsam und mit Anstrengung und suchte gleichsam nach jedem Wort, ehe sie es aussprach – „der Tod hat vor Ihrer Thür gestanden, ich habe mich um Sie sorgen müssen. Was ich damals gethan und ohne Besinnen that und für Recht hielt, es schien mir für unsere – Freundschaft nicht mehr das richtige –“

„Freundschaft! – Freundschaft?“ fiel er ihr stürmisch ins Wort. „Bei mir ist es das nicht, war es das nie! Alexandra, warum sagst du nicht Liebe?“

Sie sagte es nicht, denn sie vermochte nicht zu reden – nur ihre Augen gaben ihm Antwort – ihm, der mit einem leidenschaftlich flehenden, selbstvergessenen Ausdruck in seinem beweglichen Gesicht zu ihr hinübersah. Und er las wohl in diesen Augen etwas, das ihm den Mut zum Weitersprechen verlieh – die Worte stürzten ihm aufs neue über die Lippen:

„Um mich war’s ja geschehen gleich beim erstenmal, da ich dich sah – und ich fühlte das mit jedem neuen Mal deutlicher. Darum hab’ ich fortwollen – – – lieber hundert Meilen weiter Buchhalterdienste thun als hier. Aber was es für mich gewesen wäre, fortzugehen, Alexandra – solange ich denken kann, hab’ ich die Sonne lieb gehabt …. aber lieber wollt’ ich mir die Sonne vom Himmel fortnehmen lassen als dich!“

Und er zieht sie an beiden Händen zu sich herüber, ein verklärt lächelndes Mädchen, das sich von dem Liebsten im Arm halten und küssen läßt und denkt: Was gehört jetzt noch mir und was ihm, wenn wir vereint sein sollen für immer – für immer!

Der rosige Himmel erblaßt, nimmt ein zart getöntes grünliches Licht an, die feingeschwungene Mondsichel schwimmt darin wie ein Silbernachen. So schön und so keusch dies schlanke Mädchen in dem schneeweißen Kleid!

„Es ist so viel Schweres über mich gekommen in letzter Zeit,“ sagt Alix leise, „meinst du nicht, daß nun das Schicksal mir mein Glück wird gönnen wollen?“

„Dein Glück, Alexandra! Das bin ich?“

„Wer sonst?“

„Ein armseliges Glück, das du dir da ausgesucht hast!“

„Ich, ich finde es reich!“

„Wie die Menschen staunen und – und – spotten werden!“

„Mögen sie immer!“

„Aber sie dürfen es nicht früher erfahren, als bis ich etwas geworden bin!“

„Gewiß nicht!“

„Aber meine stolze Königin wird warten müssen, wird sie das können?“

Es klingt eine so heiße Angst durch die Frage. Aber Alix lächelt sehr zuversichtlich.

Wäre ihre Liebe die echte, wenn sie das nicht könnte?


24.

„Kolonie Josephsthal, Mai 189..     
Weißt Du noch, Maria, wie ich Dir vor drei Jahren um diese Zeit – es war auch zu Ende des Mai – einen langen, ausführlichen Brief schrieb, in dem zu lesen war, ich wolle ‚Schicksal spielen‘? Du Gute, Du Kluge, hast damals schon genau gewußt, wie es um mich stand, besser jedenfalls als ich selber, die ich mir damals noch nicht völlig klar über meine Gefühle war.

Wenn ich zurückdenke, was alles diese drei Jahre uns gebracht haben!

Erst das Wiedersehen mit Dir und die Freude, die beiden mir auf Erden liebsten Menschen einander zuzuführen! Nie werde ich es Dir genug danken können, wie Du Dich dann meines Liebsten annahmst, der so glücklich war, in Eurem Hause die behaglichste Gastfreundschaft zu genießen, während er in Frankfurt seine musikalischen Studien zum Abschluß brachte. Und dann die lange Wartezeit, während meine Verlobung mit Raimund unser Geheimnis bleiben, und ich in Schloß Josephsthal ein geselliges Leben führen mußte, das in kaum ertragbarem Gegensatz zu den Bedürfnissen meines Herzens stand! Oft genug hab’ ich Dir und Raimund mein Leid geklagt, Dir rückhaltloser als ihm, denn bei ihm hieß es, vorsichtig sein, wenn, trotz aller Reserve meinerseits, diese Bewerber auftauchten, die sich nicht abschütteln lassen wollten! Ich bin unausstehlich gewesen – übermütig – hochfahrend – Diana von Versailles von Kopf bis Fuß …. es half mir alles nichts! Schrieb ich Dir schon, daß die alte Gräfin Versing neulich sehr spitz und spöttisch gegen mich bemerkte: ‚Wissen Sie, Liebe, daß Ihr Benehmen wirklich sehr sonderbar ist und entschieden zu denken giebt? Wenn man nicht wüßte, daß eine heimliche Verlobung für eine Baroneß Hofmann eine Unmöglichkeit ist, man könnte auf diesen sinnlosen Gedanken verfallen! Sie machen einen so – so unbekümmerten Eindruck wie jemand, der seiner Sache absolut sicher ist!‘ – Ach, Maria, diese Versuchung, der klugen Dame meinen tiefsten Knix zu machen und zu sprechen: ,Ihre Weisheit, Frau Gräfin, in hohen Ehren! Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!‘

Nun, sie wird ja demnächst ihre Vermutung schwarz auf weiß bestätigt finden und staunen – staunen!! Könnte ich jede der dreihundert elegant gestochenen Verlobungskarten, die da neben mir aufgestapelt liegen, als ein Mäuschen begleiten und all die Ohs und Achs, die Ausrufe der Entrüstung, des Staunens, des Entsetzens anhören – welch ein Gaudium! ‚Raimund Hagedorn, Hofkapellmeister! Ach, um Gottes willen – ist denn das eine Partie?‘ – ‚Diese hochmütige Person – und das ist ihr gut genug?‘ – ‚Raimund Hagedorn – war der Mensch nicht einmal Buchhalter, noch dazu ein sehr untauglicher Buchhalter, in einer von den Mühlen der schönen Müllerin? Und den will sie heiraten? –‘

Bitte, meine Herrschaften – nur zu! Genieren Sie sich ja nicht! Ja – den will ich in der That heiraten!!

Und bald, Maria, das darf und das wird Dich nicht wundern! Raimunds Stellung in K. ist sehr günstig, er schreibt, so kurze Zeit er erst dort sei – er finge doch schon an, sich beim Publikum beliebt zu machen. Brauche ich Dir erst zu sagen, daß ich ihm das aufs Wort glaube? Ich hab’ ihn kennengelernt, als es ihm, Gott weiß es, nicht nach Wunsch ging, und konnte nicht anders, als ihn lieben. Wie sollen ihm jetzt die Herzen nicht zufliegen, da es ihm so gut geht in seinem geliebten Beruf und da ihm sein inneres Herzensglück aus den Augen leuchtet und von den Lippen lacht?

Seine ,Frühlingsphantasie‘, die er unmittelbar vor dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0766.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)