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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Sie sah ihn erstaunt an. „Sie suchten doch Ihre Freunde hier, wie Sie gestern sagten?“

„Freunde? Was ist das? Wie sieht so ein Ding aus?“

„Mein Gott!“ Sie lachte etwas ungeduldig. „Sie wissen wohl besser als ich, wie Frau Angela Rey aussieht!“

„Ach so! Ja, die ist fort! Weithin über alle Berge!“

„Und hat Sie allein hier zurückgelassen?“

„Sie weiß ja nicht, daß ich krank bin.“ Er starrte vor sich hin. „Uebrigens wäre das auch kein Grund für sie. Sie läßt sich nicht halten, durch nichts. Sie kommt und geht wie sie will.“

„Nun, und womit kann ich Ihnen in Deutschland behilflich sein?“

„Ach so!“ Er wandte den Kopf ihr zu. „Nur dies Päckchen hier. Ich wage nicht, es der französischen Postagentur anzuvertrauen. Es enthält den Auszug aller meiner Beobachtungen und Forschungen in den letzten Jahren.“

Sie wog es andächtig in der Hand und blickte ihn erwartungsvoll an.

„Ach so …“ sagte er. „Sie wissen ja gar nicht, wer ich bin! Also um mich vorzustellen …“

„O doch!“ Sie ließ ihn nicht ausreden und schaute ihm ins Gesicht. „Jetzt, wo ich Sie im Licht sehe. erkenne ich Sie wohl! Nach einem Lenbachschen Bilde. Im Münchener Glaspalast! Ich weiß, wer Sie sind!“

„Um so besser! Und Sie kehren, wenn ich fragen darf, in nächster Zeit nach Deutschland zurück?“

„Sehr bald! Dies ist unsere letzte Etappe. Und hier wird es, fürchte ich, mit dem Malen nicht viel werden!“

„Schön! Das Paket ist für die Geographische Gesellschaft in Berlin bestimmt. Ich selbst werde kaum mehr in der Lage sein, es zu übergeben, sondern muß Sie darum bitten …“

Sie stand auf und sah ihn mit Angst und Erstaunen an.

„Ja, ja!“ Er lachte vor sich hin. „Einmal nimmt alles ein Ende. Ich habe viel ungestraft durchgemacht. Aber gestern hatte ich ein schlimmes Abenteuer – es ist mir was aufs Herz gefallen, und heute ein noch schlimmeres, ganz ähnliches. Das hat mir den Rest gegeben. Ich glaube nicht mehr, daß ich aus diesem Neste hier herauskomme!“

Sie schwieg immer noch, aber ein ungläubiges Lächeln spielte immer stärker um ihren Mund.

„Und wenn Sie dann lesen, mein Fräulein,“ fuhr er gelassen fort, „daß ein weitbekannter Forschungsreisender, Bergkletterer, Gelehrter etc. in der Fonda d’España zu Tetuan durch ein seliges Ende Europa, dem Deutschen Reich und seinem engeren Heimatlande Bayern entrissen worden ist, dann …“

Sie beugte sich nieder und nahm sein Handgelenk zwischen die Finger. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie da reden!“ sagte sie nach einer Weile ganz ruhig. „Sie haben ja nicht einmal Fieber.“

„Fieber soll ich auch noch haben? Es ist genug, daß ich dalieg’ und mich nicht rühren kann. Wissen Sie, was das heißt, wenn ein Mann wie ich auf einmal zusammenklappt?“

„Das heißt gar nichts! Gerade bei einem Manne wie Sie!“ Eine Röte des Unmuts übergoß ihr hübsches Gesicht, und sie sprach ganz laut und energisch: „Wenn man das hinter sich hat, was Sie durchgemacht haben, ist es denn da ein Wunder, wenn plötzlich die Konstitution nachgiebt? Aber das geht doch auch wieder vorüber!“

Er sah sie lächelnd an.

„Das ist so echt weiblich. Es soll immer wieder alles gut werden!“

„Das muß es auch! Man muß nur ordentlich hoffen und den Kopf oben behalten. Glauben Sie denn, Sie sind der einzige, dem das passiert? Es haben andere auch schon dagelegen und Stiche im Herzen gehabt – bildlich gesprochen – und gemeint, sie müßten sterben, und sind doch wieder gesund geworden und fröhlich. So wird’s Ihnen auch gehen!“

„Woher wissen Sie denn das so genau?“

„Nun, das kommt doch wirklich überall auf der Welt vor!“ sagte sie ruhig. „Dazu braucht man wahrhaftig nicht erst nach Afrika zu gehen. Die Hauptsache ist nur, daß man nicht bloß daliegt und klagt.“

„Aber ich bin nun einmal krank!“

„Krank sind Sie freilich. Aber wer so kräftig und rüstig ist wie Sie, der wird auch wieder gesund. Er muß nur ordentlich wollen! Sie haben doch gewiß Energie genug dazu!“

„Ich hab’ gar keine Energie mehr! Es ist alles fort, die Nerven … die Spannkraft … alles …“

„Das bilden Sie sich ein!“ Sie wurde beinahe zornig. „Natürlich … wenn man den ganzen Tag in diesem greulichen Zimmer daliegt, zur Decke starrt und Cigaretten raucht, dann muß man ja in eine aschgraue Stimmung kommen. Darum müssen Sie vor allem von hier weg. So bald wie möglich.“

„Ich kann doch nicht!“

„Sie müssen können! Sie haben gewiß schon Schwereres in Ihrem Leben durchgemacht! Wenn Sie sich da mitten in Afrika plötzlich in Ihre Decke gewickelt und steif und still auf den Boden gelegt hätten, da hätten die Wilden Sie längst gefressen. Es ist wirklich schrecklich! Nun haben Sie alles hinter sich, sind am Ziele, wenige Stunden von Europa, und da liegen Sie und reden vom Sterben! Ein Mann wie Sie! Wenn ich nicht genau wüßte, daß Sie’s sind, ich würd’ es nicht glauben!“

„Also eine regelrechte Gardinenpredigt!“ sagte der Afrikaner melancholisch und richtete sich doch dabei halb auf dem Ellbogen auf. „Nicht einmal ein alter kranker Junggeselle in der Wildnis ist davor sicher!“

Sie errötete. „Ich habe natürlich kein Recht, Ihnen irgendwelche Vorwürfe zu machen!“ sprach sie stockend und wandte sich ab. „Es ist nur … man kann sich wirklich ärgern! Sie haben vorhin gemeint, was ich sagte, sei so echt weiblich. Nun sehen Sie – echt weiblich ist es auch, daß man die Männer gerne kräftig und energisch, so recht voll Mut und Schneid sieht. Und gar einen Mann wie Sie! Gestern, wie Sie so im Galopp in die Nacht hineinritten, da haben Sie mir imponiert. Aber heute … es thut mir geradezu weh, Sie so schwach und mutlos zu sehen, das können andere auch. Dazu braucht man nicht Ihren Namen zu tragen!“

„Also eigentlich ist die Sache höllisch einfach!“ versetzte der Afrikaner trocken. „Ich soll Ihnen zuliebe in aller Eile wieder gesund werden!“

Sie lachte hellauf. „Freilich sollen Sie das! Und meinetwegen mir zuliebe, wenn es dann rascher geht, obgleich wir beide uns ja gar nicht kennen.“

„Wir kennen uns genau seit vierundzwanzig Stunden, das ist eine sehr lange Zeit.“

„Wie man’s auffaßt. Jedenfalls nehme ich mir, da niemand anders da ist, das Recht, Ihnen ins Gewissen zu reden! Ich weiß, das hilft! Ich kann mich ja natürlich neben Ihnen nicht nennen, aber ich habe auch schon schwere Stunden gehabt im Leben und war ganz mutlos und verzweifelt. Da hab’ ich mich gefragt: Wozu bist du auf der Welt? und geantwortet: Zum Arbeiten! und mich an meine Staffelei gesetzt und Bilder gemalt, wovon ich und meine Schwestern leben. Und so sollten Sie sich fragen, wozu Sie da sind! Da würden Sie finden, daß Sie das Schicksal zu großen Dingen geschaffen hat und nicht, um Trübsal zu blasen. Das steht Ihnen gar nicht zu Gesicht!“

Sie hatte sich in Erregung gesprochen. Eine feine Röte bedeckte ihre Wangen.

„Und nun leben Sie wohl!“ sagte sie, sich sammelnd. „Und das Päckchen da will ich also in Gottes Namen mitnehmen.“

„Bleiben Sie doch noch!“ bat der Afrikaner lächelnd, „die Gardinenpredigt war noch viel zu kurz. Es muß noch ganz anders kommen. Ich bin ein zu hartgesottener Sünder!“

Sie mußte lachen. „Ich weiß wirklich nicht, wie ich mir hab’ erlauben können, Ihnen das alles zu sagen! Es kam so über mich. Die Umgebung ist schuld. Unter all diesen braunen Menschen kommen wir Europäer uns wie alte Bekannte vor, beinahe wie Verwandte, die aufeinander angewiesen sind. Also … seien Sie nicht böse!“

Sie reichte ihm die Hand. Er hielt sie fest. „Böse?“ frug er. „Ich danke Ihnen! Wenn ich nun doch nicht sterbe, sind Sie daran schuld.“

„Die Schuld will ich gerne tragen. Wenn es nur geholfen hat!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0714.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)