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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gegangen und habe ihm gesagt: ,Das schreibt mir der Mann, der durch mich sein Vermögen verloren hat und den ich jetzt um die geforderte Kaution gebeten habe, weil ich glaubte, er hätte noch die Mittel dazu.‘ Mein Prinzipal hat Ihren Brief gelesen, Herr Hagedorn! Es war keine Indiskretion dabei, wenigstens habe ich es als solche nicht empfunden.

Und ein Segen, daß er ihn gelesen! Er hat zunächst nichts weiter gesagt, hat mir den Brief stumm zurückgegeben und dann, da eine Unterbrechung kam, bloß flüchtig die Worte hingeworfen: ,Morgen sprechen wir mehr darüber!‘ – Der andere Tag kam, ich ging zu ihm, resignierten Sinnes – was konnte er mir zu sagen haben? Daß er die Kaution verlangte, wenn er mir den wichtigen Posten in seinem Geschäft übertragen sollte, fand ich nur zu begreiflich, ja, selbstverständlich, aber geben konnte ich sie ihm leider nicht – – – also war die Sache zu Ende!

Es kam anders.

Mein Vorgesetzter eröffnete mir ganz trockenen, sachlichen Tones, es würde ihm lieb gewesen sein, die Kaution als Sicherheit zu haben, da ich aber außer stande sei, sie ihm zu bieten, so müsse er schon darauf verzichten. Als Kaution werde er meine bisherige musterhafte Führung – seine eigenen Worte! – annehmen und als Kapitaleinlage meine Ehrenhaftigkeit, meinen guten Willen und den Brief des Herrn Hagedorn aus Greifswald, der so viel Vertrauen bekunde, nach all dem Schweren, das er durch mein geschäftliches Unglück erfahren. Als mein Anfangsgehalt, das er mir auswarf, normierte er eine Ziffer, die meine Erwartungen weit überstieg, und verhieß mir auch Anteil am Reingewinn, der, wenn das Geschäft fortfährt, günstig zu gehen, gleichfalls eine hübsche Summe repräsentiert, jedenfalls die Bedürfnisse für meinen eigenen Lebensunterhalt, den bescheidenen eines kinderlosen Witwers, vollauf decken wird. Ich werde daher mein Gehalt sehr bald im vollen Umfang zur Tilgung meiner Schulden benutzen können. Mit Abschluß des Jahres läßt sich alles besser übersehen; ich werde mir alsdann erlauben, Ihnen ein festes Abkommen zu unterbreiten, nach welchem sich meine halbjährlichen Abzahlungen zu regeln hätten. Sollten Sie irgend welcher nicht gar zu großen Summe gleich bedürfen, so würde ich mich glücklich schätzen, Ihnen auch damit, ganz nach Ihrem Wunsch, zu Gebot stehen zu können. Eintausend bis zweitausend Gulden hätte ich jeden Tag disponibel, und würde es sich zur ganz besonderen Ehre rechnen, Ihnen damit die erste Zahlung zu leisten,
Ihr Ihnen stets dankbar ergebener  
 Leopold Steglhuber.“ 

„Nun,“ sagte der alte Herr, der gedankenvoll zugehört hatte, „findest du es nicht auch sehr ehrenhaft von dem Steglhuber, daß er so energisch bemüht ist, sein Verschulden wieder gut zu machen? Wenn auch noch nicht abzusehen ist, wie sich das alles abwickeln wird – aber, Jungchen, ja, was hast du denn?“

Raimund war aufgesprungen, stand, zu seiner ganzen stattlichen Größe aufgerichtet, vor dem Vater und dehnte seine breite Brust unter einem so tief herausgeholten Atemzug, als wälze er eine Bergeslast von seiner Seele.

„Und du fragst das noch? Begreifst nicht? Aber dies ist ja die Erlösung für mich – die Befreiung – die Zukunft – das Glück!“

„Ja – Kind, meinst du denn –“ begann der Alte zaghaft.

„Meinen, Vater? Aber hier haben wir ja die Gewähr – haben sie dicht vor Augen!“ Raimund faßte den Brief und hielt ihn mit beiden Händen. „Steglhuber wird fest und sicher angestellt mit jährlichem Gehalt und Gewinnanteil, er ist dir tief verpflichtet, diese Verpflichtungen drücken ihn, er setzt alles daran, um ihrer ledig zu werden – und Steglhuber ist ein Ehrenmann, war immer einer, wenn er auch das Unglück gehabt hat, unser Vermögen zu verlieren! Jetzt will er gut machen und kann es auch! Kann es! Und ich – und wir – nicht eine Stunde länger, als eine anständige Kündigungsfrist erfordert, bleib’ ich hier! Ich kann nicht! Endlich – endlich darf ich fort!“

„Ja, aber – aber, mein guter Sohn –“ der alte Mann vergaß wieder seinen kranken Fuß, wollte rasch aufstehen und sank mit einem Aufstöhnen zurück, „ich bitte dich um alles, sei auch nicht zu sanguinisch, sieh die Sache nicht in zu rosigem Licht! Wenn du dir eine andere Stelle –“

„Wer spricht davon?“ Raimund, der ruhelos im Zimmer hin und her gegangen war, stand neben dem Lehnsessel des Vaters wie angewurzelt still. „Eine andere Stelle? Die hätt’ ich mir längst verschaffen können – – aber sieh nur – versteh’ nur – das durfte ich doch nicht! Es hätte ausgesehen wie rabenschwarzer Undank, und es hätte ausgesehen, als fürchtete ich mich hier zu bleiben, als wollte ich die Flucht ergreifen – daher hieß es für mich, die Zähne zusammenbeißen und aushalten – – aber jetzt, Vater –“ es klang wie Jubel in seiner Stimme – „jetzt kann ich – – und werde ich gehen – meiner wahren Bestimmung entgegen!“

Hilflos und erschrocken hingen des Vaters Augen an dem strahlenden Gesicht. Es kam ihm in aller Schwere zum Bewußtsein, wie verhaßt dem Sohn sein jetziger Beruf sein mußte, wenn er den ersten Hoffnungsstrahl, der ihm winkte, schon als sichere Erlösung begrüßte. Daß Raimund ein tägliches Opfer brachte, hatte er sich oft gesagt; was ihn dieses Opfer gekostet, sah er erst heute.

„Jungchen, komm’, setz’ dich doch wieder! Sei nicht so aufgeregt! Sieh, es fällt mir entsetzlich schwer, dir irgend welche Illusionen zu nehmen – ich hab’ selbst immer welche gehabt und bin Zeit meines Lebens nichts als ein unpraktischer Träumer gewesen – das war mein Unglück! Darum aber meine ich jetzt, so auf das Ungewisse hin –“

„Aber du siehst doch, was der Mann schreibt, Vater! Hast es mit eigenen Augen schwarz auf weiß gelesen und eben jetzt von mir dir vorlesen lassen: er hat zweitausend Gulden disponibel! Zweitausend Gulden – das sind über dreitausend Mark in unserem Gelde – und das ist nur der Anfang! Steglhuber zahlt fortan regelmäßig, vergiß das nicht!“

„Und wenn er es nicht kann? Wenn er seine Einnahmen, sein Können überschätzt hat – oder – oder – wenn er stirbt?“

„Sterben? Ach, er denkt nicht dran!“ Raimund wehrte diesen Gedanken mit einer raschen Handbewegung von sich ab, gleichsam wie eine zudringliche Fliege. „Jetzt, wo sich ihm eine neue Bahn öffnet, wo er gutmachen kann …. Vater, kannst du’s denn nicht fassen, was es für mich heißt, meine Kunst, meine Musik zurückzuerobern?“

Mit beiden Händen faßte er die Schultern des Vaters, rüttelte ihn sanft, sah ihm mit den in reinstem Blau glänzenden Augen nahe ins Gesicht, wollte wieder anheben zu sprechen und konnte es nicht.

Auch der alte Mann suchte umsonst nach Worten. Raimunds Erregung und Freude hatten auch ihn gepackt, rissen ihn mit fort, er sah ihn im Geist schon lorbeergekrönt, von einem enthusiastischen Publikum umjubelt, in Ehren und Würden, sein Blick trübte sich, und er mußte sich mehrmals räuspern. Der Hals war ihm wie zugeschnürt.

„Noch ist es nicht zu spät!“ begann Raimund von neuem, als ihm die Stimme wieder gehorchte. „Früher hab’ ich das zuweilen gedacht, aber es ist Unsinn gewesen. Ich hab’ manchmal gedacht, meine Spannkraft sei dahin, sei mir abhanden gekommen in dieser stickigen, nüchternen Comptoirluft, jetzt denk’ ich das nicht mehr! Achtundzwanzig Jahre! Ist das zu spät für einen Menschen, der voll Talent steckt – alle haben sie mir’s doch zugestanden! – der voll brennenden Eifers und voll unermüdlichen guten Willens ist …. zu spät, einen neuen Beruf zu ergreifen – vielmehr zu seinem ursprünglichen Beruf zurückzukehren?“

„Aber du,“ stammelte zaghaft der Alte, „du wirst mich doch nicht etwa hier allein lassen wollen?“

„Hier lassen? dich? Mein bestes Besitztum? Bitt’ mir den nichtswürdigen Gedanken ab auf der Stelle! Wie in aller Welt kannst du nur darauf kommen?“

„Wär’ ja nichts so Unrechtes, Kind,“ gab verlegen der Vater zurück. „Aber weißt du, eine Trennung auf lange, eine weite Entfernung von meinem Einzigen …. ich glaub’ nicht, daß ich es aushielte. Man kann ja nicht wissen, wie lange der liebe Gott mich alten Knaben noch am Leben läßt –“

„Jetzt hörst du aber auf! Du und ich, wir gehören zu einander und bleiben beisammen. Ich bitte dich also, zunächst an Herrn Steglhuber zu schreiben, und zwar die lautere Wahrheit: ich wünschte meine Carriere zu ändern und wäre ihm außerordentlich dankbar, wenn er seinen Verpflichtungen uns gegenüber soviel wie irgend möglich nachkäme! Die von ihm bezeichnete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0695.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)