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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Mädchen beinahe heftig ins Wort, „und ich wünschte sehr, sie bliebe ihm weiter für alle Zeit erhalten!“

Damit nickte sie dem Vetter, das Haupt leicht über die Schulter zurückgewendet, einen Abschiedsgruß, nahm mit einer vornehmen Gebärde ihr weißes Kleid mit der Linken ein wenig auf und schritt in dem breiten Streifen silbernen Mondlichts dem Schlosse zu.


18.

Der alte Hagedorn, Raimunds Vater, saß in seinem gemütlichen Wohnzimmer, in welchem Alix damals den verhängnisvollen Brief aus Wien gelesen hatte, und wartete auf seinen Sohn. Vor ihm lag ein zweiter Brief aus Wien, inhaltsschwerer, bedeutungsreicher noch als jener erste, und der alte Herr wünschte dringend, mit dem Sohn darüber persönlich Rücksprache nehmen zu können. Er wäre zu diesem Zweck gern nach Josephsthal hinübergefahren, allein sein Rheumatismus war bei dem kürzlich eingetretenen Witterungswechsel ziemlich heftig zum Vorschein gekommen, so daß der alte Mann mit dem linken Fuß kaum aufzutreten vermochte, trotz eines weichen Stoffschuhs und eines derben Stocks, dessen er sich beim Gehen als Stütze bediente. Aus diesem Grunde hatte er auch seinen beabsichtigten Besuch bei Alix, um den es ihm sehr zu thun war, vorläufig noch hinausschieben müssen.

Er dachte sehr oft an das junge Mädchen, es hatte ihm außerordentlich wohlgefallen, wegen seiner Schönheit sowohl als auch um der freimütigen Liebenswürdigkeit willen, mit der sie ihn, „den alten vergessenen Greifswalder Einsiedler“, wie er sich selbst zu nennen liebte, aufgesucht und behandelt hatte. In dem einförmigen Stillleben, das der alte Herr führte, hatte seine Phantasie, die allzeit geschäftig gewesen war, leider oft auf Kosten des nüchternen, praktischen Verstandes, so recht Muße, ihr Spiel zu treiben, und sie gefiel sich jetzt darin, goldene Fäden aus dieser seiner Zusammenkunft mit der Josephsthaler Erbin zu spinnen, Fäden, die aus dem unschönen, grauen Alltagsleben in die Zukunft hinüberreichten und sie mit einem verklärenden Schimmer umwoben!

Wer wollte es dem alten Herrn verdenken, wenn er dies that, wenn er in dieser Weise seines Sohnes gedachte, den er dazu geschaffen wähnte, im Sonnenschein zu wandeln, und den ein ungünstiges Geschick für immer in den Schatten bannen zu wollen schien.

Ein ungünstiges Geschick? Ach, war es nicht er selbst, der eigene Vater, gewesen, der die Hand dabei im Spiel gehabt hatte? Der sorglos die Verwaltung des Vermögens, das doch seines Sohnes Erbteil war, fremden Leuten anvertraut hatte, ohne jemals Erkundigungen einzuziehen, ob das Geld auch sicher stand? Der nun thatenlos zusehen mußte, wie sein Einziger, auf den ihm bestimmten Beruf verzichtend, sich abplagte, um sich und dem Vater das Leben zu fristen! Und er wußte es wohl, wie sehr sich im stillen der Sohn noch immer danach sehnte, dem von ihm so heißgeliebten Beruf zu leben. Gerade die ängstliche Art, mit der Raimund jedes Eingehen auf das Thema vermied oder abschnitt, war ihm dafür ein Beweis.

Aber Raimund war ein bildhübscher, intelligenter Mensch von liebenswürdigem Wesen und einnehmenden Manieren, er mußte den Frauen unbedingt gefallen, darauf gründete jetzt der alte Herr seine Zukunftsträume. Es war eine gewisse ursprüngliche Frische in seinem Wesen, die von seinem Blick, seinem Ton, seinem Lachen wohlthuend auf andere ausströmte. Er hatte viel vom Leben gesehen und auch vieles genossen, was sich ihm, dem damals reichen jungen Mann, bot, aber das war mit jener harmlosen Unbekümmertheit geschehen, die mehr entgegennimmt als selber bietet. In Raimunds Dasein, das wußte sein Vater ganz genau, hatte die Frau das entscheidende Wort noch nicht gesprochen. Würde jetzt dieser bedeutsame Abschnitt in Raimunds Leben eintreten? Wäre es bereits geschehen? Konnte er ein Mädchen, wie Alexandra von Hofmann eines war, sehen und kennenlernen, ohne es zu lieben? Freilich nicht ohne Bedenken und Zweifel hatte sich der alte Herr diesen Träumen hingeben können. Er kannte den Stolz seines Jungen, der es ihm in seiner abhängigen Stellung verbieten würde, um das reiche Mädchen zu werben!

Da brachte der gestern nachmittag aus Wien eingetrosfene Brief auch hierin Wandel. Er eröffnete eine Aussicht, daß vielleicht in nicht allzulanger Frist Raimund doch noch in seinen eigentlichen Beruf einlenken könne! Freilich war alles noch so ungewiß – und würde Raimund jetzt, mit fast achtundzwanzig Jahren, diese neue Bahn noch einschlagen wollen? Würde er nicht meinen, daß es zu spät dazu sei?

Ein neuer Schmerzanfall in dem kranken Fuß versetzte den alten Herrn in die Gegenwart zurück. Ein Seufzer entrang sich seiner Brust und er brachte das linke Bein in eine andere Lage. Sein Blick schweifte dabei zum Fenster hinaus. Was er da zu sehen bekam, war nichts Erfreuliches. Es hatte den ganzen vorhergegangenen Tag mit Regen gedroht; jetzt hing der Himmel seltsam schwer und niedrig über den Häusern, er hatte eine bleierne Färbung, nur im Westen türmten sich schiefergraue Wolkenballen übereinander. Es fing an zu regnen. Ein scharfer Wind fegte dann und wann in hohlen Stößen durch die Straßen und zauste die Wipfel der jenseits stehenden Ulmen, daß sie sich schüttelten, als ob es sie friere bis ins Mark hinein.

Da kam es plötzlich dort, wo die Bäume standen, mit heiterem Blinken wie ein Blitz heran, schoß an den letzten Ulmen vorbei, sauste um die Ecke in einer eleganten Kurve und hielt mit einem straffen Ruck dicht vor Herrn Hagedorns Thür. Raimund war es auf seinem Zweirad, das er ebenso geschickt meisterte wie früher seine Rassepferde.

Zwei Minuten später wurde ein elastischer Schritt draußen auf der Treppe hörbar, ein Schritt, der immer zwei Stufen der alten Stiege auf einmal nahm – nun ein rasches Pochen an der Thür ….

„Herein, nur schnell herein mit dir!“ Der alte Herr wollte sich erheben, um seinem Sohn entgegenzugehen, aber sein linkes Bein legte entschiedenen Protest gegen diese verwegene Absicht ein: er fühlte einen so plötzlichen schneidenden Schmerz bis in die Hüfte hinauf, daß er mit einem nur mühsam unterdrückten Jammerlaut auf seinen Stuhl zurücksank.

Der Sohn war schon neben ihm, schüttelte ihm herzhaft die Hand, klopfte ihm ermutigend auf die Achseln. „Was treibst du denn wieder für Zeug! Rheumatismus im Juni! Ich hab’ solchen Schreck bekommen, als ich das las –“

„Aber – aber Jungchen – Schreck! Was ist weiter dabei, wenn der alte Freund, der Rheumatismus, mir wieder mal eine Staatsvisite macht! Das ist ja nicht schlimm weiter, weißt du, wenn man sich ruhig hält – nur eben, daß man nicht gehen kann!“

„Gerade schlimm genug, in der schönsten Jahreszeit nicht gehen zu können!“

„Drum hat mir unser Herrgott zum Trost jetzt das schlechte Wetter geschickt, mein Jungchen! Aber nun geh’ mal vor allem an den bewußten Wandschrank und gieß dir ein Gläschen Marsala ein!“

„Ich bin doch nicht hergekommen, um dir dein bißchen Wein auszutrinken!“

„Jungchen, gehorch’ und mach’ mich nicht bös! Das schadet mir sehr bei meinem Rheumatismus!“

Das „Jungchen“ stand mit einem unterdrückten Seufzer auf, langte ein kleines Glas und eine Flasche aus dem Wandschrank, goß das Gläschen halbvoll und schlürfte mit einem „Dein Wohl!“ den Inhalt ein. „Darf ich dir nicht auch –?“

„Gott soll mich bewahren!“ Mit beiden Händen wehrte der Alte ab. „Ist ja Gift für den verdammten – – na, na, nicht fluchen, davon wird’s auch nicht besser! Also –“

„Ja, also!“ Der Sohn zog von neuem seinen Stuhl heran. „Was hat’s denn gegeben?“

„Reich’ mal den Brief da vom Schreibtisch herüber – so! Und nun lies ihn mir gefälligst vor!“

„Aber du wirst ihn doch entschieden selbst schon und vielleicht sogar mehr als einmal gelesen haben!“

„Stimmt! Hab’ ich auch! Schadet nichts! Möchte aber alles noch einmal aus deinem Munde hören. Also gehorch’ mir hübsch, Jungchen, und mach’ mich nicht ärgerlich! Das schadet mir sehr.“

„Leopold Steglhuber – – ah!“ machte Raimund, der zuerst nach der Unterschrift gesehen hatte. Dann begann er zu lesen.

„Sehr verehrter Herr Hagedorn! Als Ihr Brief kam, bin ich noch in derselben Stunde damit zu meinem neuen Prinzipal

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0694.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)