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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

zurecht, die an verschiedenen Stellen in die Wände eingehauen sind, und die daher von den Altertumsforschern „Tastnischen“ genannt werden. Wer mit dieser Zeichensprache genau vertraut war, konnte das Labyrinth auch ohne Licht besuchen, der Fremdling dagegen durfte das nicht wagen, denn die Gefahr des Verirrens war zu groß.

Infolgedessen ist auch die Erforschung der Höhlen nicht gefahrlos, umso mehr als dieselben stellenweise schon eingestürzt sind und fortwährend neuer Einsturz droht. Wer sich, auf dem Bauche liegend, durch die engen Eingänge zwängt, muß stets befürchten, daß hinter ihm ein Einsturz stattfindet, der ihn von der Außenwelt abschneidet. Aber auch sonst erfordert das Betreten der Höhlen Mut und Kaltblütigkeit. Die Gänge laufen oft steil nach oben, man muß sich in ihnen nach Schornsteinfegerart emporarbeiten, andernteils fallen sie ebenso steil wieder nach unten, und kriecht man mit dem Kopfe voran in dieselben hinein, so kann man leicht einen unerwünschten Kopfsturz in die Tiefe machen. Verliert man dabei das Licht, so kommt man in Gefahr, sich in dem dunklen Labyrinthe zu verirren. Dazu drückt die schwüle Luft betäubend auf das Hirn, der Schweiß rinnt aus allen Poren des Körpers, und eine unheimliche Angst schnürt die Brust zusammen. Alles ist zu eng. In den Gängen kann man sich nicht frei bewegen, in der schweren Luft nicht frei atmen. Das alles trägt dazu bei, die Sinne zu verwirren, und hierin liegt fast eine größere Gefahr als in den Labyrinthgängen selbst. Offenbar wurde dieser unheimliche, sinnverwirrende Eindruck mit Vorberechnung angestrebt, um dadurch die Gefahr des Verirrens zu erhöhen.

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Gang. 0 Kammer mit Gang- 0 Gang. 0 Gang in 0 Gekrümmter Gang. 0 Kammer mit 0 Gang.
öffnung in die Tiefe   die Tiefe.   Luftloch.
und Luftloch.  

Teil eines Höhlenlabyrinthes im Durchschnitt.

Von diesem Umstande abgesehen, machen die sauber ausgehauenen Kammern einen verhältnismäßig günstigen Eindruck, der in einigen besonders schön angelegten Räumen selbst bis zum staunenden Bewundern steigen kann. Es wurden Gemächer entdeckt, die durch regelmäßig eingehauene Nischen und sorgfältig gearbeitete Spitzbogen einen überraschend schönen, fast weihevollen Eindruck machten. Einen solchen Raum entdeckte der Pfarrer Karner in dem großen Labyrinth zu Röschitz. Er schreibt darüber: „Als Licht und Auge den Raum vor mir streifte, da wäre beinahe das Licht meiner Hand entfallen – nicht vor Furcht und Entsetzen, sondern vor Ueberraschung über den wundervollen Bau desselben. Unwillkürlich entfuhr meinen Lippen ein Ruf des Erstaunens, denn was ich schaute, versetzte mich sozusagen in eine ganz andere Welt, und ich glaube, selbst die kühnste Phantasie hätte diesen Anblick nicht geahnt. Ein Heiligtum in dem ausgesprochensten Sinne des Wortes glaubte ich betreten zu haben! Ein schmaler, langgestreckter, zu einem scharfkantigen Spitzbogengewölbe sich verjüngender Raum lag vor mir. Hätte ich doch eines Künstlers Hand, um dieses Bild fixieren zu können! Es klingt zu prosaisch, diesen Raum eine ,Kammer‘ zu nennen. Die Bezeichnung ‚gotische Kapelle‘ drückt noch am annäherndsten die Vorstellung aus, die man sich davon machen kann.“

Diese vollendet schönen Kammern bilden freilich Ausnahmen. Die große Mehrzahl ist gewölbeartig ausgehöhlt, an den Wänden befinden sich oft Bänke, die aus dem Erdreich ausgehauen sind, desgleichen mehr oder minder große vertiefte Nischen.

Die Gänge münden nicht immer zu ebener Erde in die Kammern, sondern der Fußboden der letzteren liegt oft beträchtlich tiefer, so daß man vom Gang aus in die tiefergegrabene Kammer hinuntersteigen muß. Das läßt auch die untenstehende Abbildung der „Spitzbogenkammern“ erkennen, wo in der oberen Kammer der Gang im Hintergrunde in Bodenhöhe weiterführt, während er in der unteren Kammer in ziemlicher Höhe vom Boden mündet.

Um einen annähernden Begriff von der Anlage der Erdbauten zu geben, bilden wir den Teil eines Höhlenlabyrinthes auch im Durchschnitt ab. Leider ist es nur möglich, auf diese Weise die Gänge und Kammern abzubilden, die in einer Linie liegen. Das Labyrinth dehnt sich natürlich nach allen Seiten aus, und diejenigen Gänge und Kammern, welche in die Tiefe führen und hinter dem abgebildeten Teile liegen, entziehen sich der Wiedergabe. Man muß sich demnach dieselben rechts und links, wie auch in die Tiefe fortgesetzt denken, um ein annäherndes Bild der Wirklichkeit zu gewinnen. Ferner steigen die Gänge oftmals nach oben auf, teils allmählich, teils schornsteinartig, und führen zu höhergelegenen Kammern, die sich wie die Stockwerke eines Hauses über den unteren Kammern als obere Etagen befinden.

Der Bau so umfangreicher Labyrinthe erforderte offenbar viel Arbeitsaufwand, dazu auch bewundernswerte Ausdauer und Geduld. Denn die niedrigen Gänge, welche man nur in ausgestreckter Lage durchkriechen kann, mußten natürlich auch in einer ähnlichen Körperlage ausgehöhlt werden. Liegend zu arbeiten ist jedoch ungleich schwieriger, als stehend zu hacken und zu schaufeln. Bedenkt man ferner, wie umständlich das Hinausschaffen der ausgegrabenen Erde war, die bei umfangreichen Erdbauten durch viele Kammern und enge Gänge nach außen befördert werden mußte, so fragt man sich wohl erstaunt, wer sich die anstrengende Arbeit machte, diese weitverzweigten Höhlen zu graben, und welchen Zweck dieselben haben mochten.

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Rundbogen- und Spitzbogenkammern.

Bevor die künstlichen Höhlen wissenschaftlich erforscht waren, nahm man an, sie seien von den Landleuten während der Schweden- und Türkenkriege als geheime Zufluchtsstätten gegraben und benutzt worden. Diese Annahme erwies sich jedoch nach der wissenschaftlichen Durchforschung als irrig. Die Höhlenlabyrinthe sind viel älter, sie gehören höchst wahrscheinlich der vorgeschichtlichen Zeit an und wurden vielleicht schon lange vor unserer Zeitrechnung gegraben. Die Werkzeugeinschnitte, welche noch an den Wänden vieler Höhlen sichtbar sind, zeigen stets dieselben Formen, nämlich Einschnitte von einem spitzen und einem breiten, an der Schnittfläche

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0686.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)