Seite:Die Gartenlaube (1898) 0674.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

verneigend, meldete der Diener leise: „Herr Justizrat Ueberweg bittet um die Ehre, Baroneß – –“

„Sehr willkommen!“

Raimund Hagedorn hatte bereits eine Bewegung gemacht, seinen Hut zu ergreifen, zögerte nun aber und sah dem Rechtsanwalt mit offenbarer Spannung entgegen.

„Guten Abend, meine Herrschaften! Erschrecken Sie nicht, liebe Alix! Es ist nichts Bedenkliches, was mich diesmal herführt, es handelt sich um ein juristisches Gutachten, dessen Ihr Vetter Whitemore und der Direktor des Walzwerkes bedürfen. Die Herrschaften mögen ruhig ihre Sitzung bei diesem Rüdesheimer, der übrigens ein hervorragendes Bouquet hat, wieder aufnehmen, ich bin kein Spielverderber! Wie geht es Ihnen, Herr Hagedorn? Habe noch oft an Ihr prächtiges Klavierspiel an jenem Abend denken müssen! Wär’ ich ein Zauberer, ich versetzte Sie mit einem Schlag ans Dirigentenpult und auf den Klaviersessel –“

„Und dafür eine geeignetere Kraft auf meinen Comptoirstuhl, nicht so, Herr Justizrat?“ vollendete Raimund mit einem erzwungenen Lächeln.

„Das entzieht sich meiner Beurteilung,“ entgegnete Ueberweg gelassen und zog sich einen Stuhl herbei. „Danke, James! Das Wohl der Damen! Ein exquisiter Tropfen! Ja, ja, liebe Alix, Ihres Papas Weinkeller genießt nicht umsonst seinen Ruf. Ich hoffe sehr, Herr Hagedorn, daß ich Sie nicht vertreibe!“

Der junge Mann war noch immer unschlüssig stehen geblieben. „Im Gegenteil, Herr Doktor! Ich möchte gern die Gelegenheit benützen, Sie bei Ihrem Weggehen noch kurz zu konsultieren, falls Ihre Zeit es gestattet –“

Der Justizrat zog seine Uhr zu Rat.

„Ein Viertelstündchen darf ich schon an dieser einladenden Rüdesheimer Quelle verweilen,“ entgegnete er launig, „und wenn Sie uns bis dahin Gesellschaft leisten wollen, so kann es mir nur angenehm sein, wenn Sie mich dann begleiten. Daß es mir schwer werden wird, mich von hier so rasch loszureißen, bedarf wohl keiner Versicherung.“ Der Justizrat warf dabei einen sehr ausdrucksvollen Blick auf Alix.

„In diesem weißen Gewand und mit den Blumenblättern, die über Sie hingestreut sind – bitte, bitte, nicht fortnehmen, lassen Sie sie ja, wo sie sind! – bieten Sie einen Anblick, liebe junge Freundin, der zum Beispiel Ihren Verehrern, den beiden jungen Grafen Versing, Atem und Besinnung zugleich rauben würde. Ich war vorgestern dort, und wir haben eigentlich von nichts anderem als von Ihnen geredet!“

Alix hob den Kopf und hatte die Miene der „Diana von Versailles“.

„Wie außerordentlich schmeichelhaft für mich! Und beide Grafen sagen Sie? Sie werden doch nicht damit enden, die Tragödie der feindlichen Brüder aufzuführen!“

„Mir scheint,“ nahm die Majorin das Wort, „die jungen Herren bekommen außerordentlich oft Urlaub!“

„Das scheint mir auch!“ bestätigte der Justizrat trocken. „Sie müssen wohl zwingende Gründe dafür haben!“

„Waren Sie bei Versings zu Gast?“ fragte Frau von Sperber.

„O nein, meine gnädige Frau, ich hatte geschäftlich dort zu thun. Das bürgerliche Element“ – der Justizrat hob den Zeigefinger und zog die Brauen empor – „ist in diesem feudalen Hause nur dann zulässig, wenn es Jugend und Schönheit in die Wagschale zu werfen hat!“

„Sonst nichts?“ meinte Alix spöttisch. „Mir scheint, lieber Doktor, Sie hätten die Hauptsache vergessen!“

Raimund hatte schweigend sein Glas leer getrunken und auf Rede und Gegenrede gehört, während er dabei sichtlich seinen eigenen Gedanken nachging. Wie hochmütig sie aussehen konnte! Als armer Mann in untergeordneter Stellung auch nur den Blick zu einem solchen Mädchen zu erheben, ja, es war der helle Wahnsinn, und Raimund schwur sich’s zu, diesem Wahnsinn keine Macht mehr über sich zu gestatten! Dazwischen folterte ihn die Frage, ob er recht gethan hatte, hier zu bleiben, dem Justizrat seine Begleitung anzutragen – ob es nicht besser gewesen wäre, unter irgend einem Vorwand seinen Rückzug anzutreten, der ja schon vorbereitet gewesen war.

Inzwischen war die Sonne in ein Flammenmeer hinabgetaucht – noch aber schwammen die kleinen Wölkchen in Rosenglut. Die Nachtigallen, die am Tage in der Tiefe des Parkes verweilten, lockten jetzt in unmittelbarer Nähe, und Amsel und Drossel antworteten ihnen. Die glühenden Lichter auf Alix’ rotbraunem Haar waren erloschen, nur über das weiße Kleid zog sich hier und da ein blaßgoldener Reflex – der lichte, schöne Sommertag nahte seinem Ende. – Wieder zog der Rechtsanwalt seine Uhr.

„Höchste Zeit für mich!“ Er erhob sich sofort. „Gnädigste Frau, meine liebe Alix, ich habe die Ehre! Wie ist es, Herr Hagedorn, darf ich auf Ihre Gesellschaft rechnen?“

„Wenn Sie gestatten! Baroneß – ich empfehle mich!“

Ein Handkuß für beide Damen, so ceremoniell und flüchtig zugleich, daß kaum der Rand der Lippen die Hände streifte, eine tiefe Verbeugung hier wie dort, und der junge Mann schritt an der Seite des älteren der Gitterpforte zu. (Fortsetzung folgt.)     



Blätter und Blüten.


Der Schöne Brunnen zu Nürnberg. (Zu dem Bilde S. 648 u. 649.)

„Im Markt zu Nürnberg steht ein Brunn;
Als weit als leuchten mag die Sunn,
Findt man desgleichen nit von Stein.“
 Reimspruch des 15. Jahrhunderts.

Wenn man von dem Nürnberger Ponte Rialto, der Fleischbrücke, seine Schritte zur alten Kaiserburg lenkt, gelangt man zunächst zu dem jetzt ganz freigelegten Marktplatz von seltener Größe. In dessen nordwestlicher Ecke, hart an der Straße, steht eines der reizendsten Werke gotischer Profanbaukunst: der Schöne Brunnen, der Stolz der alten Reichsstadt, der von Meisterlin in seiner Nürnberger Chronik der „köstlich Prun“ und von Hartmann Schedel in der berühmten Weltchronik von 1493 ein „allerschönster Prunnen“ genannt wird. Aus achteckigem Bassin erhebt sich eine höchst zierliche gotische, reich mit Figuren geschmückte Turmpyramide von 20 m Höhe, die mit ihren Spitzbogen und Wimpergen, Pfeilern, Fialen, schlanken Säulchen, Krabben und Wasserspeiern von ganz besonders malerischer Wirkung ist. Im unteren Stockwerke stehen die Figuren der sieben Kurfürsten und die „neun Helden“: drei des heidnischen Altertums (Hektor, Alexander und Julius Cäsar), drei des Judentums (Josua, David und Judas Makkabäus) und drei des Christentums (Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon). Das zweite Stockwerk ist durch die Statuen von Moses und sieben Propheten geschmückt. Auf Pfeilern im Bassin saßen einst noch 16 Figuren der „heiligen Skribenten“, bei der Reindelschen Restauration wurden dieselben aber durch wasserspeiende Bestien ersetzt. Denn es muß eingestanden werden, daß von dem Brunnen, wie er in den Jahren 1385 bis 1396 zuerst unter Friedrich Pfinzings Aufsicht und von 1389 an durch Heinrich den Palier auf Kosten des Rats ausgeführt wurde, heute nur wenig mehr vorhanden ist. Der Schöne Brunnen, der einst vollständig bemalt und reich vergoldet war, so daß er bei der fränkischen Landbevölkerung noch heute vielfach der „goldene Brunnen“ genannt wird, hatte durch die rauhe Witterung vielfach zu leiden. Schon 1447 mußte er neu bemalt, 1464 ausgebessert, 1490 abermals bemalt werden etc. Zu Beginn unseres Jahrhunderts aber war er eine vollständige Ruine. In den Jahren 1821 bis 1824 wurde er nun unter der Leitung des Kupferstechers Albert Reindel, Direktors der Nürnberger Malerakademie, vom Grund auf restauriert, oder vielmehr nach dem alten Originale beinahe neu aufgebaut. Der Staat Bayern und die Stadt Nürnberg teilten sich in die Kosten. Trotz vieler willkürlicher Veränderungen, welche Reindel vornahm, ist dieses Juwel gotischer Baukunst doch heute noch von harmonischer entzückender Wirkung. – In höchst anziehender Weise stellt der ausgezeichnete Nürnberger Architekturmaler Paul Ritter den Brunnen, wie er einst war, in unserem Bilde vors Auge. Der prächtige Hintergrund auf demselben ist erfreulicherweise im wesentlichen heute noch vorhanden, wenn man auch von der Bemalung des großen Giebelhauses mit dem auf dem Marktplatze abgehaltenen Gesellenstechen nichts mehr sieht. Die Staffage versetzt uns in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

Heute wird der Schöne Brunnen wiederum einer gründlichen Erneuerung unterzogen. Die Stadt Nürnberg hat sich in unserem Jahrhundert so kräftig entwickelt, daß sie diese ohne staatliche Beihilfe vornehmen kann. Architekt Wallraf aber, dem die Restauration übertragen wurde, ist ein genauer Kenner des gotischen Stiles: er nimmt seine Aufgabe so ernst, daß manche der Verballhornungen Reindels beseitigt werden und das edle, altberühmte Werk bald in neuer Schönheit erstehen wird. H. B.     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0674.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)