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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Heimkehrenden wohl Bescheid, wer in seiner Behausung auf ihn warte! Die Treppenstufen ächzten unter einem bedächtigen, etwas schweren Tritt, dann öffnete sich die Thür, und in ihrem Rahmen stand ein mittelgroßer alter Herr mit leuchtend weißem Silberhaar und intensiv blauen Augen – ohne jede Aehnlichkeit mit seinem Sohn, aber mit einem so lieben, guten Gesicht, so treuherzig gewinnenden Ausdruck, daß ich in der ersten Minute Zutrauen zu ihm faßte.

Ich stellte mich vor, schalt ein wenig auf seinen Sohn, der unsere Bekanntschaft nicht hatte vermitteln wollen, und mein alter Herr schalt mit und begriff den ‚Jungen‘ gar nicht, ihm etwas so ‚Seltenes und Schönes‘ – wörtlich! – vorenthalten zu haben. Nun kam die Rede auf seine verstorbene Gattin und meine Mutter, und er fand, ich sähe beiden sehr ähnlich, holte die Bilder herbei und verglich sie aufmerksam mit mir. Und dann sprachen wir von Raimund und seiner herrlichen musikalischen Begabung – da legte es sich wie ein Flor über die guten blauen Augen, die Stimme wurde dem alten Herrn rauh und unsicher, und wie ich teilnehmend fragte, ob gar keine Aussicht auf seine weitere Ausbildung sei, schüttelte er den Kopf und sagte seufzend: ‚Keine – gar keine! Der Mensch muß leben, Baroneß, der junge, auch der alte!‘ Dazu ein unwillkürlicher halber Seitenblick nach dem Brief auf dem Schreibtisch.

Hätte der alte Herr mich beobachtet, er hätte es wohl gewahren müssen, daß ich verlegen aussah, aber dergleichen fiel ihm zum Glück nicht ein, er hing ein Weilchen seinen trüben Gedanken nach, dann raffte er sich auf und bat mich um Verzeihung, daß er sich nicht besser habe beherrschen können: der Gedanke an seines einzigen Sohnes verfehlten Beruf und an seine Zukunft überkomme ihn jedesmal wieder wie ein neues Unglück. Wäre ich schon vertrauter mit ihm gewesen, so hätte ich jetzt das Gespräch auf seine pekuniären Verhältnisse bringen können, und ich glaube, er wäre dann ganz von selbst auf den Brief zu sprechen gekommen. Aber nein, es war besser so; ich hätte ihn doch nicht ins Vertrauen ziehen können; seine Kinderseele würde ein Geheimnis vor seinem Sohn nicht lange zu hüten vermögen.

Ich habe ihn gebeten, nach Raimunds Rückkehr bald einmal mit diesem nach Josephsthal, wo es jetzt so hübsch sei, herauszukommen, und er hat freudig zugesagt. Sein Blick ging immer wieder an mir hinauf und hinab, mit einer ganz unverhohlenen Bewunderung, aber es war auch Wehmut dabei: er fand wohl immer mehr Aehnlichkeit zwischen seiner verstorbenen Gattin und mir, und das rührte und ergriff ihn. Von meiner Mutter sprach er mit großer Verehrung: sie sei eine seltene Frau gewesen, und das Freundschaftsband, das sie mit seiner Helene verknüpft habe, ein ungewöhnlich inniges und festes. Wie seltsam es sei, daß er und sein Sohn jetzt, nach so langen Jahren, das kleine Püppchen, zu dessen Taufe sie damals von Wien herübergekommen seien, als erwachsene Dame wiedergefunden hätten und in naher Verbindung mit ihr stünden. Seltsam … jawohl!! –

Wir trennten uns wie zwei alte Freunde. Dann überfuhr ich in meinem leichten Wagen nach Haus. So schnell die Fahrt ging, mir war sie kaum rasch genug; ich konnte die Zeit nicht erwarten, am Schreibtisch zu sitzen und mit Herrn Leopold Steglhuber zu reden, eingehend und verständig, wie die Gelegenheit es erforderte. Das habe ich wirklich gethan. Ich sagte dem Mann, ich hätte durch einen Zufall Kenntnis von seinem Schreiben an Herrn Hagedorn Senior gewonnen, und ich bäte ihn, unter Wahrung strengster, ehrenwortlicher Diskretion, die gewünschte Kaution von mir anzunehmen, da ich Zutrauen zu ihm hätte, vor allem aber wünschte, daß es ihm bald gelingen möge, seinen Verpflichtungen diesem Gläubiger gegenüber gerecht zu werden. Ich erklärte offen, die Verhältnisse der beiden Hagedorns, des Vaters wie des Sohnes, seien derart, daß sie lediglich auf den Verdienst des letzteren angewiesen seien, sozusagen von der Hand in den Mund lebten und nicht einen Kreuzer des Geldes, das er, Herr Steglhuber, ihnen zurückzuerstatten habe, entbehren könnten. Ich bat um postwendende Antwort, ich beschwor den Mann, gegen jedermann, namentlich gegen die beiden Hauptbeteiligten, über diese Angelegenheit zu schweigen, und ich glaube, mein Brief ist so gut ausgefallen, wie mir dergleichen selten gelingt. In vier Tagen spätestens kann die Antwort aus Wien da sein.

Und nun, Liebste, leb’ wohl! Es ist Abend geworden, wie ich diesen Brief schließe – – ein wonniger, warmer, sonnenübergossener Abend! Der Mai ist zu Ende, aber die Blüten sind noch da und die Düfte und all die süßen Vogelstimmen! Ich schließe Dich an mein Herz, ich küsse Dich und die Kinder und grüße Deinen Mann aufs herzlichste! In treuer Liebe allezeit
Deine Alix.“ 


15.

Frau Major Sperber saß mit ihrer Häkelarbeit und einem guten Buch in einer hübschen halbrunden Fliederlaube des Josephsthaler Parkes. Ihr Gesicht, welches in der Großstadtluft schmal und blaß geworden war, hatte sich schon ganz ersichtlich gerundet und frischere Farben bekommen. Sie machte sich, seitdem sie anfing alt zu werden, nichts mehr aus der Existenz in der Metropole, sie liebte das Landleben, gute Luft und Ruhe; das konnte sie hier alles aus erster Hand haben. Die eigentliche „Kolonie“ lag ein tüchtiges Stück vom Schloß entfernt, der ganze, weit ausgedehnte Park schob sich dazwischen, man hörte keinen Ton arbeitender Maschinen, sah keine Rauchwolken den Himmel verfinstern und roch keinen Dampf, wenn man nicht direkt nach den „Werken“ hinüberging. Diese interessierten aber die Majorin, die trotz ihrer Jahre nicht aufgehört hatte, strebsamen Geistes zu sein, lebhaft – besonders wenn Ingenieur Harnack die Damen begleitete. Er gefiel der Majorin, und da er dies merkte, so wollte er auch seinen Nutzen davon haben und hatte vor kurzem, als er Frau von Sperber allein traf, ihr, zwar in verblümter Rede, aber doch deutlich genug zu verstehen gegeben, wie es um ihn stand, und daß er der glücklichste Mensch unter der Sonne sein würde, wenn es ihm gelingen möchte, sich Alix’ Gunst zu erringen!

Die Majorin fühlte sich durch das Vertrauen des ihr sympathischen und anderen gegenüber so verschlossenen Mannes sehr geschmeichelt. Anfangs reserviert, war sie bald ganz Feuer und Flamme. Was sie thun könne, ihm die Wege zu ebnen, solle gewiß geschehen, mein Gott, Alix könne ja doch eigentlich nichts gegen ihn haben – ein so gut aussehender, gescheiter und tüchtiger Mann, die eigentliche Seele des ganzen Geschäftsbetriebs! Kurz, die Dame hatte das in diesem Punkt sehr schwache Selbstvertrauen des Ingenieurs bedeutend gehoben.

Wie sie aber jetzt so in der Fliederlaube saß und wieder über die Sache nachdachte, stiegen ihr doch einige Bedenken auf. Alix war liebenswürdig und freundlich zu ihr, vertraulich hatte sie sich aber bisher noch nicht gezeigt, und die Majorin war zu klug und erfahren, um sich dies Vertrauen erzwingen zu wollen. Allerdings hatte sie bei dem jungen Mädchen Anzeichen wahrgenommen, die sich recht wohl als aufkeimende Liebe deuten ließen; aber nichts berechtigte sie zu der Annahme, daß es der Oberingenieur war, dem dieses Gefühl galt. Doch wem sonst? Die Nachbarschaft hatte nach und nach Besuch gemacht, die Gräfin Versing mit ihren beiden Söhnen war schon mehrfach dagewesen, ein paar junge unverheiratete Gutsbesitzer, stattliche Männer, die sich erst kürzlich in der Gegend angekauft, hatten sich gewaltig für die „schöne Müllerin“ ins Zeug geworfen; Vetter Cecil war auch noch da und hatte entschieden etwas auf dem Herzen; der junge Hagedorn – nun, der war ja eigentlich nichts und hatte nichts, aber seine Persönlichkeit stach die andern, streng genommen, alle aus, auch spielte er wunderschön Klavier.

Die Majorin mußte lächeln. Nun war sie selbst so alt geworden, daß ihre eigenen Herzensangelegenheiten ihr keine unruhige Stunde mehr bereiteten, da nahm sie sich diejenigen anderer Leute zu Gemüt – so sind die Frauen! Und noch dazu war sie gar nicht auf sich selbst bedacht, wenn sie für Alix Pläne schmiedete und sie für die Ehe gewinnen wollte …. sobald die schöne Mühlenprinzessin heiratete, war es mit der angenehmen Stellung ihrer Hausdame zu Ende, und diese konnte wieder in das nervenaufreibende Getriebe der Großstadt zurückkehren. – – Vorläufig aber saß sie wohlgeborgen in Josephsthal – wozu sich vorzeitig Sorgen machen?

Unterdessen schritt Alix die Lindenallee herab. Ihr Schritt war rasch, trotz der Hitze, die um diese Stunde noch nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatte, und die Bewegung, mit der sie während des Gehens die Uhr aus dem Gürtel zog

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