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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Priester, der die Nubier begleitete, der einzige, der lesen konnte und viel arabisch gelesen hatte, eine schwache Kurzsichtigkeit erworben hatte (früher will er sehr gut gesehen haben), so daß er jetzt ein Glas konkav 1,5 brauchte; trotzdem aber besaß er mit der Brille noch eine fast doppelte Sehschärfe.

Generalarzt Dr. Seggel in München untersuchte im Jahre 1883 6 Chippeway-Jndianer und fand bei ihnen einundeinviertel- bis einundeinhalbfache Sehschärfe. Er prüfte auch 15 Lappländer, von denen 3 sogar zweiundeinhalbfache, und 4 Hawaier, die einundeinhalb- bis zweiundeinhalbfache Sehschärfe besaßen. Dr. Kotelmann in Hamburg fand 1884 bei 34 Augen von Kalmücken im Durchschnitt Sehschärfe von 2,7, einmal sogar die kolossale Sehleistung von 6,7! Diese mehr als sechsfache Sehschärfe ist nicht auf einen Irrtum zurückzuführen; sondern wiederholt wurde festgestellt, daß dieser Kalmück, Namens Sansché, Haken, die das normale Auge nur bis 6,5 m erkennt, auf 42 m unter freiem Himmel las.

Im Mai vorigen Jahres konnte ich die mehrfach erwähnte große Sehschärfe der Kalmücken selbst im Zoologischen Garten zu Breslau feststellen, da eine Karawane von 21 Personen hier gezeigt wurde. Ich prüfte sie mit meiner Hakentafel und der Gabel. Nur einer von ihnen sah sie auf 6 m, 3 auf 9, 6 zwischen 9 und 12, 8 zwischen 12 und 15, 2 bis 16 und einer, der Kalmück Jawann, bis 18 m; dieser hatte also dreifache Sehschärfe; die beiden Priester, Gellongs, welche die Karawane begleiteten und Gebete in thibetanischer Schrift lesen, aber kaum etwas schreiben konnten, zeigten zwei bis dreifache Sehschärfe. Wir konnten stets erst mit einem Opernglase kontrollieren, ob die von ihnen mit bloßem Auge gemachten Angaben richtig waren.

Etwas geringere Sehschärfe stellte Kotelmann auch bei 23 Singhalesen und 3 Hindus aus Ceylon fest, die im Mittel aber immer noch mehr als die doppelte Sehschärfe hatten. Er vermutet, daß diese Völkerschaften ihre Augen weniger als die fast immer im Freien beschäftigten Kalmücken ausbilden.

Bei den Kaffern wurde von Schwarzbach ebenfalls einundeinhalbfache Sehschärfe gefunden. – Sehr interessant waren die Ergebnisse der Untersuchungen, die ich in diesem Frühjahr auf meiner Studienreise in Aegypten mit meinem Täfelchen angestellt habe.

Unter den Beduinen, die ich bei klarstem Wetter am 16. Februar 1898 nachmittags 5 Uhr am Fuße der großen Cheops-Pyramide in Gizeh untersuchte, befand sich ein Mann von 18 Jahren, Namens Derwisch, der die Haken bis 36 m richtig angab, also eine sechsfache Sehleistung zeigte.

Unter 100 ägyptischen Rekruten, die ich am 20. Februar, einem wolkenlosen Tage, vormittags 10 bis 12 Uhr auf dem Kasernenhofe der Red-Baraks bei Kairo gemeinsam mit Herrn Dr. Bitter, dem Direktor des Hygieinischen Instituts in Kairo, sowohl auf Sehleistung als auf granulöse (ägyptische) Augenentzündung prüfte, hatten 75% eine ein- bis zweifache, 7 eine zwei- bis dreifache und 1 eine dreiundeinhalbfache Sehschärfe. Ram Nassr aus Garbieh, 25 Jahre alt, zeigte eine vierundeinhalbfache und Mohammed Ganim aus Tantah eine fünffache Sehleistung, da er die Haken statt bis 6 m sogar einwandsfrei bis 30 m las. –

Von besonderem Interesse war es für mich, eine größere Zahl von Bischarin, deren Sehvermögen noch nie geprüft worden, zu untersuchen. Diese im Sudan, in der Nubischen Wüste als Nomaden lebende, höchst uncivilisierte Völkerschaft, welche die Bedauiesprache spricht, sendet nur vereinzelte Vertreter nach Ober-Aegypten. Allein hinter Assuan, nicht weit vom ersten Katarakt des Nil, hatte eine große Horde ein Zeltlager bezogen. Ich ritt am Morgen des 3. März nach diesem Lager in die Arabische Wüste mit zwei Dolmetschern; der eine sprach arabisch, der andere verstand die Bedauiesprache und behauptete, die Leute näher zu kennen. Mit Mühe hatte ich, von tropischer Sonne (33° R., keine Wolke) und von unabweisbaren unzähligen Fliegen gepeinigt, in der Nähe der kläglichen Zelte mir eine Bahn von 24 m mittels kleiner Steinhäufchen auf dem Wüstensande markiert und die Sehprüfungen mit einem 10jährigen Knaben begonnen (er verstand die Aufgabe leicht und las bis 11 m), da kam der Aelteste (Schech) der Bischarin, einer sehr trotzigen und wilden Bande, und erklärte, unter keiner Bedingung die Fortsetzung der Untersuchung zu gestatten – aus Aberglauben, da diese Prüfung den Augen schaden könne! Natürlich versuchte ich durch das afrikanische Zauberwort „Bakschisch“ ihn und seine Stammesgenossen zu gewinnen. Allein es wurde mir trotz aller Verhandlungen der Dragomane stets erwidert: Selbst für 100 Pfund Sterling würden sie die Prüfung nicht gestatten. Ich mußte also leider unverrichteter Dinge wieder nach Assuan zurückreiten. Ich hoffe, daß Prof. Schweinfurth, der berühmte Afrikaforscher, dem ich mein Täfelchen in Luxor übergeben, und der sich für die so vereinfachte Untersuchungsweise interessieren will, bei seinen häufigen Reisen in den Sudan doch noch eine größere Zahl der Bischarin prüfen wird. Das wäre von großer Wichtigkeit, da diese merkwürdigen braunen Stämme von der Kultur noch gänzlich unbeleckt sind und gewissermaßen das Urauge zeigen.

Auf der Rückreise konnte ich wenigstens 6 Bischarin in Luxor untersuchen, die mir der dortige deutsche Konsul, Herr Tadros, herbeigebracht; 5 von ihnen hatten zwei- bis dreifache Sehleistung. – Von großem Interesse waren für mich natürlich auch die Untersuchungen in den Schulen in Kairo, die ich gemeinsam mit Herrn Dr. Eloui-Bey ausführte, einem ausgezeichneten, in Frankreich ausgebildetem Augenarzte, der zugleich als Regierungsschularzt mit 12 000 Franken Gehalt angestellt ist.

Die Erlaubnis, die Schulkinder und die Soldaten mit meinem Täfelchen zu prüfen, wurde mir von Sr. Excellenz dem ägyptischen Unterrichtsminister, Herrn Artin Pascha, bezw. vom Generalarzt der ägyptischen Armee Herrn Dr. Mujiar, auf Antrag des deutschen General-Konsulats und des Herrn Prof. Dr. Rogers-Pascha in kürzester Zeit erteilt.

Aus den vielen interessanten Ergebnissen meiner Studien in 5 dortigen Schulen sei hier nur erwähnt, daß ich in der Ecole Abbas, einer modernen ägyptischen Töchterschule, ein 11jähriges Mädchen, Namens Asmah, die Tochter eines Aegypters und einer Cirkassierin, fand, welche als erste und tüchtigste Schülerin bezeichnet wurde, und die zu unserer Ueberraschung die Tafel bis 38 m las, also über sechsfache Sehschärfe hatte, obgleich sie an granulöser Augenentzündung litt. – Noch viel größer aber war unser Erstaunen, als wir in der Khedivialschule, einer Art Gymnasium, einen 16jährigen Jüngling, Namens Achmed Helmi aus Kairo, fanden, der imstande war, an dem wolkenlosen, wundervollen Vormittag des 15. März in dem schönen Garten der Schule die Haken achtmal richtig zu bezeichnen in 48 m! Er hatte also, wie sich Dr. Eloui mit mir überzeugte, eine achtfache Sehschärfe. Sämtliche Schüler und alle Lehrer verfolgten staunend von Meter zu Meter die Sehleistung von Helmi und brachen schließlich in morgenländischen Beifall aus. Seine Sehschärfe entspricht einem Gesichtswinkel von 71/2 Sekunden. Es ist dies eine Sehleistung, die bisher einzig dasteht.

Wenden wir uns nunmehr der Betrachtung der Sehschärfe der Deutschen zu!

Zunächst verdienen die Helgoländer unsere Beachtung. Wir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0663.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2023)