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Der Nordsee-Hummer.

Von Dr. C. Hoffbauer.

Wer einmal in der glücklichen Lage gewesen ist, zur Sommerszeit auf einem der eleganten Hamburger Salondampfer die kurze aber herrliche Seereise nach Helgoland zu machen, wird während seines Aufenthaltes auf dem kleinen roten Felseneiland wohl schwerlich die Gelegenheit haben vorüber gehen lassen, die größte Delikatesse, welche die Insel bietet, einen frisch gekochten Hummer, einer gründlichen gastronomischen Prüfung zu unterziehen. – Der Binnenländer dürfte vielleicht erst bei dieser Gelegenheit erfahren haben, daß an unsern Küsten und in den deutschen Meeren der Hummer nicht weiter vorkommt, und der Meeresgrund in der Umgebung Helgolands sowie einiger kleinen Stellen nördlich davon bis zur jütischen Küste die einzige Stätte ist, wo dieser äußerst schmackhafte Kruster in größerer Anzahl gefangen wird. So bekannt und auf jeder Tafel beliebt nun auch der im Alter höchst mürrische und einsiedlerisch veranlagte Geselle ist, so hat man doch bis vor nicht langer Zeit von seiner Naturgeschichte, seiner Lebensweise und Fortpflanzung herzlich wenig gewußt. Als nach der Einverleibung Helgolands in das Deutsche Reich auf der Insel von Preußen im Jahre 1892 eine Biologische Station gegründet wurde, gingen darum deutsche Naturforscher eifrig ans Werk, in jenes dunkle Gebiet Licht zu bringen. Ihre Untersuchungen sind bereits von schönen Erfolgen gekrönt worden, die zum Teil in den „Mitteilungen des deutschen Seefischereivereins“ veröffentlicht wurden. Aber auch von anderer Seite, von Norwegen, England, namentlich von den Küsten Nordamerikas, wo der Hummer noch am zahlreichsten vorkommt, sind in den letzten Jahren mancherlei Beiträge zur näheren Kenntnis des Hummers eingelaufen, in jüngster Zeit hauptsächlich von Dr. Francis H. Herrick vom Adalbert College in Cleveland, Ohio, dessen Beobachtungen in den meisten Punkten auch mit denen über unsern europäischen Hummer übereinstimmen. – Es dürfte wohl einen größern Leserkreis interessieren, einen kurzen Ueberblick über diese neuesten Forschungen zu erhalten und auch etwas über den Fang und die Aufbewahrung des versandfähigen Hummers zu erfahren.

Zunächst mag, entgegen der bisherigen Ansicht der Fischer, hervorgehoben werden, daß der Hummer ein Standtier ist und größere Wanderungen, wie solche bei vielen Fischarten üblich sind, nicht unternimmt. Nur die Larven schwimmen frei umher; das ausgebildete Tier bewegt sich langsam auf dem Meeresgrunde; sollten es wirklich einige Stöße der Hinterleibsfüße oder des Hinterkörpers auf kurze Zeit emporheben, so sinkt es doch sehr bald wieder auf den Boden zurück. Bisweilen findet wohl eine Art Schwärmen einer größeren Anzahl Tiere statt, das aber durch Temperaturverhältnisse oder durch Suche nach Nahrung, falls die bisherigen Weideplätze erschöpft sind, bedingt ist und mit eigentlicher Wanderung nichts zu thun hat. Der Hummer liebt in der wärmeren Jahreszeit flachgründigen, einige Faden tiefen, felsigen Boden, wie ihn die nähere Umgebung von Helgoland in reichem Maße bietet. Er hält sich tagüber meist zwischen Steinen und Meerespflanzen verborgen und geht zur Nachtzeit auf Nahrungssuche nach andern kleinen Krustern und Muscheltieren, die er mit den starken, hornartigen, braunen Zähnen, mit denen sein Magen besetzt ist, zermalmt. Mit Vorliebe frißt er auch tote, angefaulte Fische. Alle unverdaulichen Nahrungsbestandteile werden durch die Mundöffnung wieder entleert. Zum Beginn der Winterszeit sucht er wohl tieferes, wärmeres Wasser auf mit schlickigem, weichem Boden, in den er sich mit Hilfe seiner großen Scheren und seiner Schwanzflosse rückwärts hineinbewegt und mehr oder weniger tief eingräbt, um in eine Art Winterschlaf zu verfallen, während dessen er keine Nahrung aufnimmt. Dieser Zustand der Erstarrung tritt bei dem Hummer auch in der Gefangenschaft ein.

Die Ablage der schwärzlich gefärbten, kaviarähnlichen Eier erfolgt hauptsächlich in den Sommermonaten (bei Helgoland von Mitte Juli bis Mitte September), und zwar derartig, daß sie mit einer klebrigen Substanz an den Hinterfüßen des Weibchens befestigt werden. Sie sind also bis zum Ausschlüpfen der Larven fortwährend von frischem Wasser umspült. Die Zahl der abgelegten Eier ist nach der Größe und dem Alter des Weibchens verschieden; sie beträgt nach Ehrenbaum für einen einpfündigen Helgoländer Hummer 8000 bis 10000, für einen zweipfündigen 15 000 bis 18 000 und steigert sich bei einem vierpfündigen auf 30 000 bis 36 000. Diese verhältnismäßig große Anzahl verliert aber sehr an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die Eierablage nicht jährlich, sondern wahrscheinlich nur alle 4 Jahre erfolgt und die später ausschlüpfenden Larven vielen Gefahren ausgesetzt sind, so daß nach Herrick von 10000 Larven kaum 2 groß werden dürften. Die Inkubationsdauer, d. h. die Zeit, während der die Eier vom Weibchen getragen werden, bis zum Ausschlüpfen der Larven, beträgt in der Regel 11 Monate. Eine merkwürdige Erscheinung sind die sogenannten schwarzen Hummern. Während der Gefangenschaft, wo die Tiere in größerer Anzahl in schwimmenden Kästen gehalten werden, kommt es nämlich selten zu einer Eiablage; die bereits gebildeten Dottermassen werden von dem Körper wieder aufgesogen und färben das Blut eine Zeit lang grünlichschwarz. Solche Hummern sind nach dem Kochen sehr unansehnlich und darum meist unverkäuflich, wenn auch von Feinschmeckern behauptet wird, daß dieselben gerade durch das Zurücktreten der Dottermassen ins Blut sehr wohlschmeckend seien.

Die kleinen Larven haben nach dem Verlassen des Eies eine dem ausgebildeten Tier sehr unähnliche Gestalt (vgl. die untenstehende Abbildung) und Lebensweise. Sie schwimmen frei an der Wasseroberfläche umher und sind den mannigfaltigsten Nachstellungen ausgesetzt. Gleich nach dem Ausschlüpfen machen sie eine Häutung durch, ein Vorgang, der sich bis zu einem Alter von 6 bis 8 Wochen fünf- bis sechsmal wiederholt. Dann hat der junge 13 bis 16 mm lange Hummer die Gestalt der alten erhalten und schwimmt nicht mehr frei umher, sondern sucht den Meeresboden auf. Der Häutungsprozeß wiederholt sich im ersten Jahre noch viele Male, läßt dann aber mit zunehmendem Alter nach; ganz alte Hummern, die ein Alter von 20 bis 30 Jahren erreichen und bis 1/2 m lang werden können, häuten sich wahrscheinlich überhaupt nicht mehr, ihre Schalen sind mit Seepocken, Seerosen, Röhrenwürmern und Algen dicht bewachsen.

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Hummerlarve nach dem Verlassen des Eies.

Regelmäßig tritt die Häutung nach erfolgter Eiablage ein. Die alte Schale wird durch Aufsaugen der organischen Substanz von seiten des Körpers hart und brüchig und als Ganzes abgeworfen; nur die Verbindungsstelle des Kopfbruststückes mit dem Schwanze reißt ein, um dem ausschlüpfenden Tiere den Weg zu bahnen. Selbst die Gliedmaßen, die großen Scheren und die Beine zwängen sich infolge Zurückziehens des Blutes und vermöge ihrer Elasticität durch die engen Stellen der alten Schale hindurch.

Kurze Zeit vor der Häutung werden die auf der Unterseite des Kopfbruststückes zusammenstoßenden Ränder des Panzers weich. Der Helgoländer weiß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0639.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2023)