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war dieser Zug hervorgetreten, bei Bonnell vertiefte er sich, und in Schönhausen während der Ferien übte die reichhaltige Bibliothek eine so mächtige Anziehungskraft auf den Gymnasiasten aus, daß er gelegentlich sogar die sonst peinlich eingehaltene Mittagessenszeit darüber vergaß. So legte er in jungen Jahren den Grund zu jenem riesigen geschichtlichen Wissen, das später ein gewaltiges und stets bereites Rüstzeug des Parlamentariers und Diplomaten bildete.

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Luise Wilhelmine v. Bismarck,   Karl Wilhelm Ferd. v. Bismarck.
geb. Mencken.  
Die Eltern Bismarcks.
Nach Zeichnungen von Franz Krüger aus dem Jahre 1826.

Der „tolle Bismarck“.

Das Jahr 1832 bildet einen der schärfsten Einschnitte in dem Entwicklungsgange Bismarcks. Aus der Enge und Ordnung des Gymnasiallebens, in welche die Ferien jeweils eine willkommene, aber doch nicht wesentlich nachwirkende Abwechslung gebracht hatten, trat er - im Besitze eines Maturitätszeugnisses „Nr. 2“ – nunmehr hinaus in die völlige Ungebundenheit des Studententums. Der ganze übermächtige Lebensdrang seiner Kraftnatur brach sich mit einem Mal fessellos Bahn. Mit seinem Einzug auf der „Georgia Augusta“ zu Göttingen, wo er sich als Student der Rechts- und Staatswissenschaft eintragen ließ, beginnt die Zeit des „tollen Bismarck“, die eigentlich erst mit seinem Uebergang in das politische Leben und mit seiner Verheiratung anderthalb Jahrzehnte später ihr Ende fand. Der Begriff „Kollegium“ existierte für den Studiosus Bismarck fast nur in negativer Bedeutung, ebenso in Göttingen wie später in Berlin. Dafür aber hat er über zwanzig Duelle ausgefochten und in Göttingen nach dem Wortlaut seines Abgangszeugnisses „außer einigen weniger erheblichen Rügen zehn Tage Karzer wegen Gegenwart bei einem Pistolenduell, sodann, neben der bedingten Unterschrift des consilii abeundi, drei Tage Karzer wegen Gegenwart bei einem Duelle und viertägiges strenges Karzer wegen Überschreitung des für die Gesellschaften der Studierenden vorgeschriebenen Regulativs“ zuerkannt erhalten. Ja, er nahm sogar eine noch in Göttingen verwirkte Karzerstrafe mit nach Berlin, indem er von Prorektor und Senat in Göttingen feierlich die Erlaubnis erhielt, sie dort abzusitzen. Seine Wohnung in Voß' Garten an der „Kleinen Mühle“ (s. die untenstehende Abbildung S. 562) mag ihn nicht eben viel in ihren vier Wänden beherbergt haben, und wenn er nach Pommern heimkam, so war seine Mutter gar nicht mit ihm zufrieden; sein Sammetrock, seine lange Pfeife, mit der er ihr die Zimmer verqualmte, sein studentischer Ton wollten ihr gar nicht zu der Vorstellung passen, die sie sich von ihm als zukünftigem Diplomaten gemacht hatte. Am 11. September 1833 ging Bismarck von Göttingen ab, aber erst auf den 10. Mai fällt seine Immatrikulation in Berlin. In der Zwischenzeit wird er sich wohl in Kniephof aufgehalten haben; das aus dem Jahre 1834 stammende Bildchen von der Hand Gustav von Kessels (s. unten rechts S. 562) trägt deutlich die Unterschrift „Kniephof“. Wenn Bismarck sein Auskultatorexamen im Mai 1835 dennoch mit Erfolg bestand, so verdankte er dies dem eisernen Fleiß, den er privatim in der letzten Zeit seines Studiums zu Berlin entfaltete, seiner großen Begabung und einem geschickten Privatdocenten, dem er sich zum Examensdrill anvertraut hatte.

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Otto v. Bismarck im 11. Lebensjahre.
Nach einer Zeichnung von Franz Krüger aus dem Jahre 1826.

So wurde nun also Bismarck königlich preußischer Auskultator beim Stadtgericht zu Berlin und führte sein Amt nicht eben mit viel Eifer, aber doch mit so viel Erfolg, daß seine Vorgesetzten in ihm das Zeug zu einem tüchtigen Beamten erkannten. Hervorzuheben ist aus dieser Zeit seine erste Begegnung mit dem späteren Kaiser Wilhelm I. Während des Winters 1835 bis 1836 wurde Bismarck auch in die Hofkreise eingeführt, und auf einem Hofballe war es denn auch, daß er zum erstenmal mit dem „Prinzen Wilhelm, Sohn Sr. Maj. des Königs“, wie derselbe in gewissenhafter Unterscheidung von dem „Prinzen Wilhelm, Bruder Sr. Maj. des Königs“ damals stets genannt wurde, in Berührung kam. Bismarck wurde dem Prinzen zugleich mit einem Herrn von Schenck vorgestellt, der ebenso groß war wie er und auch Auskultator. Den beiden gewaltigen Jünglingsgestalten gegenüber äußerte der Prinz scherzend: „Nun, die Justiz sucht sich ihre jungen Leute jetzt wohl nach dem Gardemaß aus!“ – Als Bismarck 1836 von der Justiz zur Verwaltung übertrat, führte ihn der Dienst als Regierungsreferendar nach Aachen. Es war dies eine Zeit, an die er später nicht gerne zurückdachte. Er geriet in Aachen und in den benachbarten vielbesuchten Badeorten Westdeutschlands so sehr in den Strudel eines überschäumenden Genußlebens, daß er wohl eine reiche Menschen- und Lebenskenntnis, aber nach Andeutungen, die er später machte, auch eine bedenkliche Verwirrung seiner eigenen Angelegenheiten davontrug, eine Verwirrung, die ihm noch lange nachging und die noch nach 14 Jahren seine Seele mit einer Art moralischen Druckes belastete. Ein Brief an seine Gemahlin vom 3. Juli 1851 ist ein tiefernster Zeuge dafür, zugleich aber auch für die gründliche Wandlung, die in der Folge mit ihm vorging. „Vorgestern war ich in Wiesbaden zu Mittag,“ schrieb er, „und habe mit einem Gefühl von Wehmut und altkluger Weisheit die Stätten früherer Thorheit angesehen. Möchte es doch Gott gefallen, mit seinem klaren und starken Weine dies Gefäß zu füllen, in dem damals der Champagner 21jähriger Jngend nutzlos verbrauste und schale Neigen zurückließ. Wo und wie mögen ** und Miß ** jetzt leben, wie viele sind begraben, mit denen ich damals liebelte, becherte und würfelte, wie hat meine Weltanschauung doch in den vierzehn Jahren seitdem so viele Verwandlungen durchgemacht, von denen ich immer die gerade gegenwärtige für die rechte Gestaltung hielt, und wie vieles ist mir jetzt klein, was damals groß erschien, wie vieles jetzt ehrwürdig, was ich damals verspottete! Wie manches Laub mag noch an unserem inneren Menschen ausgrünen, schatten, rauschen und wertlos welken, bis wieder vierzehn Jahre vorüber sind, bis 1865, wenn wir’s erleben! Ich begreife nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt und doch von Gott nichts weiß oder wissen will, sein Leben vor Verachtung und Langeweile tragen kann. Ich weiß nicht, wie ich das früher ausgehalten habe; sollte ich jetzt leben wie damals, ohne Gott, ohne Dich, ohne Kinder – ich wüßte doch in der That nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte wie ein schmutziges Hemd; und doch sind die meisten meiner Bekannten so und leben.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0561.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)