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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

dahinstarben. Bismarcks jüngere Geschwister, ein ebenfalls jung verstorbener Bruder Franz und seine geliebte Schwester Malwine, sind auf Kniephof in Pommern geboren, wohin die Eltern im Jahre 1816 ihren Wohnsitz verlegten.

Ehe wir indessen mit ihnen von Schönhausen scheiden, muß noch eines Umstandes Erwähnung geschehen. Von dem ursprünglichen Besitz der Bismarcks auf Schönhausen hatten die Eltern des Fürsten unter den Nachwirkungen der Kriegsnöte in der Franzosenzeit, in der Mitte der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts ein gutes Stück verkaufen müssen, zu welchem ein zweites Herrenhaus gehörte. Als Otto von Bismarck preußischer Ministerpräsident geworden war, da machte er den Versuch, dieses Gut zurückzuerwerben, konnte sich aber mit dem Besitzer, dem Deichhauptmann Gärtner, über den Preis nicht einigen. Erst dem siebzigjährigen Jubilar führte die Dankbarkeit des deutschen Volkes das alte Stammgut in unverkürzter Gestalt wieder zu. In dem Herrenhaus des früher Gärtnerschen Besitzes befindet sich heute das Bismarckmuseum, von welchem noch später die Rede sein wird.

Schon im Jahre 1816 siedelten also, wie bemerkt, Bismarcks Eltern von Schöuhausen nach Pommern über. Dort hatten sie von einem Vetter die Güter Kniephof, Jarchelin und Külz im Kreise Naugard geerbt, und aus Gründen, die wir nicht näher kennen, beschloß der Vater, auf Kniephof Wohnung zu nehmen. Dort verflossen auch die ersten Knabenjahre des kleinen Otto, ausgefüllt von all jenem ländlichen Zeitvertreib, wie ihn ein Gutsbetrieb dem unternehmenden Jungen bietet. Er spielte mit den Hunden, ließ sich auf die Pferde heben, fischte im Karpfenteich und dergleichen mehr. In den Erziehungsgrundsätzen scheinen die beiden Eltern etwas auseinandergegangen zu sein; wenigstens erzählt man von dem Vater, daß ihn der Anblick seines mit den „Beeneken“ baumelnden Jungen in Entzücken versetzt habe, während die strengere Mutter gerne frühzeitig den vollendeten Kavalier in ihm erzogen hätte, der er sein mußte, wenn ihr Ideal, die diplomatische Laufbahn des Sohnes, in Erfüllung gehen sollte.

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Das Geburts- und das Wohnzimmer des Fürsten Bismarck in Schönhausen.
Nach Photographien von H. Bentzke in Rathenow.

Aus diesen Gegensätzen mag auch der Entschluß herausgewachsen sein, Otto ziemlich früh einer Erziehungsanstalt zu überweisen. Kaum sechs Jahre alt, mußte er das väterliche Haus verlassen und in die damals sehr geschätzte Plamannsche Erziehungsanstalt zu Berlin übersiedeln. Er hat ihr keine sehr freundlichen Erinnerungen bewahrt; die derbe Deutschtümelei, das Streben nach körperlicher Abhärtung wurde dort nicht ohne bedenkliche Uebertreibung gepflegt, eine besonders liebevolle Anteilnahme scheint er bei den Lehrern nicht gefunden zu haben – kurz, der kleine Junker bekam bitterlich Heimweh, so daß er eine Zeit lang „nicht pflügen sehen konnte, ohne zu weinen“. Etwas besser wurde es, als er 1827 in die Tertia des Friedrich Wilhelm-Gymnasiums überging. Dort hatte er das Glück, gleich bei seinem Eintritt die Zuneigung eines vortrefflichen Mannes, des Dr. Bonnell, zu gewinnen; und was dieser über seine erste Begegnung mit Bismarck erzählt, ist zu bezeichnend für den Eindruck, den der zwölfjährige Junge machte, als daß wir seinen Bericht nicht vollständig hier wiedergeben sollten.

„Meine Aufmerksamkeit,“ so äußert sich Bonnell, „zog Bismarck schon am Tage seiner Einführung auf sich, bei welcher Gelegenheit die Neuaufgenommenen im Schulsaal auf mehreren Bänken hintereinander saßen, so daß die Lehrer während der Einleitungsfeier Gelegenheit hatten, die Neuen mit vorahnender Prüfung durchzumustern. Otto von Bismarck saß, wie ich mich noch deutlich erinnere und später auch öfter erzählt habe, mit sichtlicher Spannung, klarem freundlichen Knabengesicht und hellleuchtenden Augen frisch und munter unter seinen Kameraden, so daß ich bei mir dachte: Das ist ja ein nettes Jungchen, den will ich besonders ins Auge fassen! Er wurde zuerst mein Schüler im Lateinischen, als er nach Obertertia kam. Michaelis 1829 wurde ich aus Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster versetzt, an das auch Bismarck im folgenden Jahre überging. Ostern 1831 kam er als Pensionär in mein Haus, wo er sich freundlich und anspruchslos in meiner einfachen Häuslichkeit und durchaus zutraulich bewegte. Er zeigte sich in jeder Beziehung liebenswürdig. Er ging des Abends fast niemals aus: wenn ich zu dieser Zeit zuweilen nicht zu Hause war, so unterhielt er sich freundlich und harmlos plaudernd mit meiner Frau und verriet eine starke Neigung zu gemütlicher Häuslichkeit. Er hatte unser ganzes Herz gewonnen, und wir brachten ihm volle Liebe und Sorgfalt entgegen, so daß sein Vater später, nach seinem Scheiden von uns, äußerte, daß der Sohn sich in keinem Hause so wohl wie bei uns befunden habe.“ Und dieses Urteil des Vaters wurde dadurch bestätigt, daß der ehemalige Zögling auch als Ministerpräsident und Reichskanzler dem alten Lehrer die herzlichste Zuneigung bewahrte.

Im allgemeinen war Bismarck ein vorzüglicher Schüler, musterhaft in seinem Betragen und ausgezeichnet durch leichte Fassungsgabe, die es ihm möglich machte, das Erforderliche ohne sonderliche Anstrengung zu leisten. Ein hervorstechendes Merkmal bildete seine ausgeprägte Vorliebe für die Geschichte, namentlich für die seines engeren Vaterlandes. Schon in der Plamannschen Anstalt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0560.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2022)