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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Sapristi!“ Der Ausruf des Prinzen galt nicht mir, sondern dem Billard. Major Roß hatte ein paar gute Stöße gemacht.

Die drei Bälle lagen für ihn aber jetzt sehr ungünstig, der seine in der entferntesten Ecke, das Band berührend. Plötzlich setzte sich dieser von selbst in Bewegung, lief erst langsam, dann immer schneller über das ganze Billard und karambolierte mit den andern, wie es der beste Spieler nicht bester hätte wünschen können.

„Da haben wir’s wieder!“ rief Halim ärgerlich. „Es ist unerträglich. Hassan! Abdallah-Mansur!“

Er klatschte in die Hände. Die sechs Mamelucken stürzten herbei. Sie wußten offenbar bereits, was sie zu thun hatten. Fünf hoben mit vereinten Kräften das Billard an dem vom Prinzen bezeichneten Ende, der sechste schob drei Spielkarten unter das freigewordene Bein. „Sehen Sie,“ sagte er zu mir, „diese Komödie haben wir alle Tage. Jeden Morgen lasse ich die Tische genau einstellen, und jeden Mittag stehen sie wieder schief.

Macht es die Feuchtigkeit im Boden oder die Hitze in der Lust – der Allwissende mag es wissen. Die Marmorplatten heben und senken sich aus irgend einem gelehrten, physikalischen Grunde, und mein Freund Roß gewinnt das Spiel mit Hilfe der unterirdischen Mächte. Was sagen Sie dazu?“

Das Parkthor des Palastes zu Schubra.
Nach einem Aquarell von M. Eyth.

Da ich nichts zu sagen wußte, schüttelte ich entrüstet den Kopf. „A propos,“ fuhr er fort, „ich habe schon öfter daran gedacht: Sie könnten mir einen Gefallen thun! Konstruieren Sie mir ein Billardbein, das ich selber mit einem Ruck um einen oder um ein paar Millimeter länger oder kürzer machen kann. Das sollte ein Ingenieur fertig bringen.“

„Das sollte er in der That, Hoheit!“ erklärte ich zuversichtlich.

„Sehr gut! Bringen Sie mir morgen Ihre Idee. Dann wollen wir Freund Roß zeigen, was Billardspielen heißt. Kommen Sie, Roß! Sehen wir nach dem Engländer, der meine Araber schlagen soll.“ Dies bezog sich auf Pferde und eine Wette zwischen Halim und Roß, die sich seit Monaten darüber stritten, ob ein englisches Pferd an der Seite eines arabischen eine Gazellenjagd aushalten könne. „Auf morgen also, Monsieur Eyth!“

Roß winkte mir lebhaft zu, ohne daß ich verstand, was er mir telegraphieren wollte. Zu Erklärungen war keine Zeit.

Beide, Halim voran, die sechs Mamelucken hinterher, schritten rasch die Treppen der Gabeleia hinunter und verschwanden im Gebüsch des Parks. Ich blieb allein, zog mein Notizbuch aus der Tasche und skizzierte die reichornamentierte Ecke des Billards, um meinen noch etwas nebelhaften Plan zum mindesten stilgerecht durchführen zu können. Dann ging auch ich.

Am Parkthor warteten der Esel und Ali-Machmud, der Eselstreiber, die mir eiligst vom Felde gefolgt waren. Der Eunuche salaamte und ich galoppierte nach Kairo, mein Billardbein vergnüglich im Kopfe hin und her drehend. Die Sache war ja einfach genug. Eine messingene Lotosblume sollte den Untersatz bilden. Aus ihrem Kelch tritt statt der Griffel und Staubfäden eine Stahlschraube heraus. Auf dieser ruht das Mahagonibein des Tisches, das in ähnlich blumiger Weise ausgestattet wird. Eine Drehung der Staubfäden hebt und senkt den Tisch. Diese Verbindung von morgenländischer Blumenpoesie mit abendländischer Schraubenprosa schien mir alles zu sein, was man von einem Dampfpflüger erwarten konnte. In steigendem Kunstenthusiasmus schlug ich auf meinen Esel los, der noch nie mit solcher Begeisterung von Schubra nach Kairo rennen mußte wie an jenem Vormittag.

In der Muski, der halb europäischen, halb orientalischen Hauptstraße Kairos, die damals weit morgenländischer aussah als heutzutage und Hildebrandt und Werner zu einigen ihrer wirkungsvollsten Aquarelle verlockt hat, befand sich ein kleiner Kunst- und Papierladen deutschen Ursprungs. Unter tiefen Staubschichten fand ich dort mit Hilfe des ganzen Geschäftspersonales Tusche, Zeichenpapier, ein paar Farben, drei Skorpione in einer zerbrochenen Tuschschale und ein Dutzend Heftstifte. Gegen Abend war eine leidliche Skizze des Gedankens zu Papier gebracht, und am nächsten Vormittag trabte ich mit meinem Billardbein nun wirklich, wie ich glaubte, zum allerletztenmal nach Schubra.

Um die Gabeleia herrschte Todesstille. Selbst der Tiger und die Kakadus schliefen. Mit Mühe wurde mir von verschiedenen Parkwächtern und Gärtnerburschen klar gemacht, daß Effendini schon in aller Frühe mit Major Roß über Heliopolis hinaus in die Wüste geritten sei, um Pferde zu probieren. Keiner der höheren Beamten des Hofs war zu entdecken. Nur der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0509.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)