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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Die arme Kleine.

Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach.
(7. Fortsetzung.)


Felix Kosel war ein vorzüglicher Reiter, der sich nicht leicht durch die Laune eines Pferdes überraschen, nicht leicht aus dem Sattel bringen ließ. Im Hof von Valahora wäre er aber bei einem Haar auf das elende, aus spitzen und eckigen Steinen bestehende Pflaster niedergesaust. Die großen und die kleinen Hunde sprangen Meta von allen Seiten an, und die sanfte, vernünftige Stute stieg empört in die Höhe und feuerte aus, daß die Funken stoben. Kosel, der wie gewöhnlich vergessen hatte, seine Reitpeitsche mitzunehmen, konnte dem Hundevolk gegenüber keine andere Waffe gebrauchen als zur Ruhe ermahnende Worte und Winke. Das Geheul der vierbeinigen Burgwächter rief endlich den zweibeinigen herbei. Bartolomäus trat aus der Thür seiner ebenerdigen Wohnung, pfiff dem Hundevolk, kam auf Kosel zu und beantwortete seine Frage, ob Herr Bornholm zu sprechen sei, verneinend.

„Nicht zu sprechen? Ja so,“ murmelte Kosel und versank in Gedanken. Nach einer Weile raffte er sich auf, wiederholte: „Nicht zu sprechen“, und ritt heim und konnte kein Ende finden mit der Beschreibung seines merkwürdigen Erlebnisses. Er war in Valahora gewesen, ja drüben in Valahora, hatte Herrn Bornholm besuchen wollen, ja er, und Herr Bornholm hatte sagen lassen, daß er nicht zu sprechen sei. Das ist doch keine Manier. Wie?

Alle mußten zugeben, daß es keine Manier sei.

Dafür aber am nächsten Vormittage, welche Ueberraschung! Bornholm ließ sich bei Herrn von Kosel melden, wurde – vor lauter Ueberraschung – empfangen und sogar ziemlich freundlich. Er fand den Herrn von Velice umkreist von Rauchwolken, die seinem Tschibuk entstiegen, inmitten eines Ringgebirges von Zeitungen. Kosel stand auf und reichte ihm die Hand.

„Sie sehen, daß ich da Zeitungen ordne,“ sprach er.

„Ja,“ erwiderte Bornholm. „Und ich komme, um Ihnen zu sagen, daß ich sehr bedaure, Ihren Besuch versäumt zu haben. Ich war nicht zu Hause.“

„Sie waren nicht zu Hause? Ja das, das ist etwas andres. Das ist ja etwas andres.“ Und nun stieg er über das Gebirge, an der Stelle, wo es am niedersten war, und lud Bornholm ein, auf einem der großen Fauteuils Platz zu nehmen: „Ich ordne da einige Zeitungen, heute kommt der Buchbinder. Also. Sie sind gestern nicht zu Hause gewesen. Ich habe Sie besuchen wollen.“

„Sie wünschten Nachrichten von Ihrem Sohn zu erhalten,“ sagte Bornholm, „ich kann Ihnen die besten geben. Er verträgt das Klima, die Strapazen, ist der Leiter der Station. Ich bin nur noch ein Bummler.“

Kosel trug ihm eine Cigarre an, er wies sie fast mit Ekel zurück, er rauche nicht mehr.

„Nicht mehr? wieso, wie kommt das?“

„Wahrscheinlich habe ich mich überraucht.“

„Ueberraucht; ein gutes Wort, ich habe es noch nie gehört und auch noch nicht gelesen und man liest in Zeitschriften doch oft neue Worte. Halten Sie Freemans Journal? Es ist berühmt.“

„Joseph liest es.“

„Ja, der Joseph! Er wird doch auch einmal ans Nachhausekommen denken müssen. Ewig geht das nicht so! Eine große Reise hat er jetzt auch gemacht. Wo waren Sie also mit ihm?“

Levin hatte mehr Geduld mit seinem nicht sehr aufmerksamen Zuhörer, als er mit Elika gehabt hatte, die gar zu gern eine aufmerksame Zuhörerin gewesen wäre. Er beantwortete Kosels Fragen ziemlich ausführlich und sprach dann von seiner Absicht, den Winter in Valahora zuzubringen, und von der Notwendigkeit, sich in seinem Raubneste ein wenig einzurichten. Auch ein Pferd mußte er haben und hatte erfahren, daß Herr von Kosel eines der seinen verkaufen wolle. – Verkaufen, ein Pferd? Das war Herrn von Kosel neu. Soviel er wußte, dachte er nicht daran, ein Pferd zu verkaufen. Wirklich dachte er in dem Augenblick an nichts anderes als an Freemans Journal. Levin betrachtete ihn mit Geringschätzung. Was für ein Hohlkopf; und was für vage Augen er hat! In die kommt wohl niemals ein Ausdruck. Nun – das war ein Irrtum, der, kaum entstanden, widerlegt wurde.

Aus den „vagen“ Augen Kosels, der Levin gegenüber saß, mit dem Gesichte der Thür zugekehrt, leuchtete plötzlich etwas Liebes, Gutes. Es verflog bald wieder, aber es war doch dagewesen, hatte diese schönen, nichtssagenden Züge belebt.

„Aha, oho, die Kleine!“ sagte er.

Levin wendete sich: auf der Schwelle, unter der zurückgeschlagenen Portiere stand Elika.

Sie machte einen kurzen Knicks, ging auf ihren Vater zu, umarmte ihn und sprach: „Ich bin schon einige Minuten da und jetzt erst siehst du mich. Herr Bornholm meint den Hansl.“

„Wie – was – den Hansl?“

„Herr Bornholm wird gehört haben, daß du ihn weggeben willst.“

„Ja so, den Hansl, ja den! Aber Herr Bornholm braucht ein Reitpferd, und der Hansl läßt sich nicht reiten; du weißt ja.“

„Warum?“ fragte Levin und Elika erwiderte:

„Er ist zu bös.“

„Kein Tier ist bös, kein vernunftloses Wesen ist bös.“

„Dann thut der Hansl nur dergleichen, aber so schrecklich natürlich, daß es ihm jeder glaubt.“ Sie lachte, geriet aber sogleich in Verlegenheit darüber, daß sie gelacht hatte, umarmte ihren Vater noch einmal und nahm Platz auf der breiten Lehne seines Fauteuils, wie auf einem Damensattel. Einer ihrer Füße kam in seinem hellbraunen Schuh unter dem Saume des weißen Kleides zum Vorschein, fein gefesselt, fast lächerlich schmal, und so waren auch die Hände, die sie nachlässig um das hinaufgezogene Knie schlang. Ihr einfaches Matrosenhütchen hatte sie in den Nacken geschoben, ihre etwas zu hohe Stirn war ganz frei, ihre feinen Haare, sehr dicht geworden, ringelten sich nicht mehr. Sie wurden zurückgekämmt und in einen Zopf geflochten, der ihr über den Rücken hing. Wunderhübsch angewachsen waren diese feinen, an den Wurzeln fast weißen Haare und bildeten da, wie sich aufbäumend, einen schimmernden Bogen um die Stirn und die Schläfen. Elika fing an, ihrer schönen Mutter ähnlich zu sehn, und doch konnte man sie nicht einmal hübsch nennen, mit ihrem blassen Gesichtchen und ihren blassen Augen. Was anzog, was gefiel, das war ihre Anmut, ihr um Liebe werbendes Wesen.

Das Gespräch drehte sich noch immer um Hansl, der den Reitknecht, einen jungen verwegenen Burschen und vorzüglichen Reiter, so oft abgeworfen hatte …

„Vierzehnmal,“ fiel Elika ihrem Vater ins Wort, „bis der Papa ihm verboten hat, wieder aufzusteigen. Und jetzt soll der Hansl eingespannt werden, aber der Kutscher Vincenz sagt, das geht auch nicht. Und das ist so schad’, denn der Hansl ist schön und jung und fehlerfrei.“

Sie seufzte und jeder andere hätte ihre Wichtigthuerei drollig gefunden, Bornholm fand sie aber unausstehlich und dachte: Jetzt spielt sie sich gar auf die Pferdekennerin.

„Ist Hansl wirklich fehlerfrei?“ fragte er Herrn von Kosel über die Kleine hinweg, und der Blick, mit dem er sie dabei streifte, war alles eher als wohlwollend.

Die sonst so leicht Verletzte zeigte nicht eine Spur von Empfindlichkeit. Nur eine leise Traurigkeit dämmerte in ihren Augen, und der kluge, ausdrucksreiche Mund, der Klang ihrer Stimme, jede ihrer Bewegungen verrieten stille Ergebung ins Unvermeidliche, und ein Versichern, ein inniges Beteuern: Kränke mich so viel du willst – ich verzeihe.

„Fehlerfrei – also gekauft,“ lautete das letzte Wort, das Bornholm am Ende der Beratung, die sich nun entsponnen hatte, sprach: „Ich lasse das Pferd morgen abholen.“ Er stand auf und auch Kosel erhob sich.

„Oho! Sehen müssen Sie es früher doch.“ Er war ganz aufgekratzt und ungewöhnlich geistig beisammen, die Gegenwart des Australiers wirkte außerordentlich belebend auf ihn. „Die Katz’ im Sack darf man nicht kaufen.“

„Kommt auf den Verkäufer an,“ erwiderte Levin, und Elika traute ihren Ohren nicht – das war ja eine Art Kompliment, zum mindesten eine Höflichkeit. – „Aber wenn Sie wollen, sehen wir ihn an.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0422.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2021)