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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

jener Zeit thut Leguat, der sorgfältige Beschreiber des Solitär, keine Erwähnung des Dodos, der später – wohl namentlich infolge des wiederholten Besitzwechsels der Insel Mauritius, die 1715 französisch und 1810 englisch wurde – so in Vergessenheit geriet, daß seine frühere Existenz seitens etlicher Naturforscher bezweifelt wurde. Indessen hat man in den letzten 30 Jahren eine große Anzahl von Dodoknochen in einem Moore auf Mauritius, dem Mare aux Songes, gefunden.

Ueber die Lebensweise des Dodo ist wenig bekannt geworden, ausgenommen, daß er gleich manchen anderen Inselvögeln flugunfähig war. Letzteres gilt auch vom Solitär, über den uns etwas mehr berichtet wird als über seinen mauritianischen Verwandten.

Manches davon will uns freilich nicht recht glaubhaft erscheinen. So soll der Vogel Thränen vergossen haben, wenn er gefangen wurde. Es wird auch mitgeteilt, daß das Männchen eines Paares niemals ein fremdes Weibchen von seinem Neste vertrieben, sondern nur sein eigenes Weibchen durch ein mit den Flügeln hervorgebrachtes Geräusch gerufen habe, damit es das fremde verjage. Umgekehrt soll das Männchen fremde Geschlechtsgenossen verjagt haben, nachdem es vorher von dem Weibchen gerufen worden sei. Leguat sagt, er hätte das öfter beobachtet, und erklärt es ausdrücklich für wahr. Aber er hat noch wunderbarere Sachen gesehen. Einige Tage, nachdem der junge Solitär das Nest verlassen habe, werde ihm durch eine Gesellschaft von 30 oder 40 alten Vögeln ein anderes Junges zugeführt, worauf sich dieses mit Vater und Mutter der Bande anschließe und auf einen Platz in der Nähe gehe, von dem die alten Vögel dann allein oder in Paaren fortzögen, um die Jungen dort bei einander zu lassen. Leguat nennt das eine Hochzeit. „Diese Eigentümlichkeit,“ sagt er, „hat etwas an sich, das ein wenig fabelhaft aussieht; nichtsdestoweniger ist das, was ich sage und was ich mehr als einmal mit Aufmerksamkeit und Vergnügen beobachtet habe, aufrichtige Wahrheit.“

Der Dodo.

Das größte unter den berühmten ausgerotteten Tieren ist das Borkentier oder Stellers Seekuh, ein sogenannter Fischsäuger, der zusammen mit den Manaten des Atlantischen und dem Dugong des Indopacifischen Oceans die Familie der Sirenen oder Seekühe bildet, die man früher zu den Walfischen zählte, jetzt aber als an das Wasser angepaßte Pflanzenfresser aus der großen Abteilung der Huftiere betrachtet.

Als der berühmte Seefahrer Bering im Jahre 1741 von einer Entdeckungsfahrt, die der Küste von Alaska gegolten hatte, zurückkehrte, erlitt er Schiffbruch an der Insel, die jetzt seinen Namen trägt und ungefähr 25 geographische Meilen von der Küste von Kamtschatka entfernt ist. Die überlebenden Mitglieder der Expedition, die zehn Monate lang auf jener Insel verweilen mußten, sollen Fleisch von Borkentieren verzehrt haben, die sie dort als Bewohner der Küstengewässer entdeckten. Indessen wurde die erste Seekuh thatsächlich erst am 12. Juli des folgenden Jahres getötet. Einen Bericht über das Aussehen, die Lebensweise und die bevorzugten Aufenthaltsorte der großen Sirene verdanken wir Berings Arzt G. W. Steller, dessen Namen das Borkentier erhielt. Steller war ein eifriger Naturforscher, der trotz der Entbehrungen, die der Aufenthalt auf der unwirtlichen Insel den Schiffbrüchigen auferlegte, seinen Untersuchungen oblag. Das Borkentier war ungefähr 7 bis 9 m lang und hatte einen Bauchumfang von etwa 6 m. Nach Stellers Schätzung wog es bis zu 8000 Pfund. Sein Kopf war im Verhältnis zum Körper sehr klein, dessen Kiefer trugen an Stelle von Zähnen eine dicke Hornplatte. Von ihrer Haut, die einer übermäßig ausgebildeten Elefantenhaut ähnelte, erhielt Stellers Seekuh den Namen Borkentier. Die Oberhaut war stellenweise gut 2 cm dick und so hart, daß sie nur mit einem Beile zerschnitten werden konnte.

Das Borkentier bewohnte herdenweise die Mündungen von Flüssen, wo es sich von Tang nährte. Es war dumm, langsam und ziemlich unbeholfen, konnte sich auch nicht durch Untertauchen schützen und wurde gelegentlich durch die Brandung ans Ufer geworfen. Wegen seiner Unfähigkeit zum Tauchen war es gezwungen, seiner Nahrung im seichten Wasser nachzugehen, und da dieses im Winter vor Eis und Sturm oft unzugänglich war, so war das Tier im Frühling sehr abgemagert.

Bald nachdem die Schiffbrüchigen nach Kamtschatka zurückgekehrt waren, wurden Expeditionen nach der Beringsinsel und ihrer Nachbarschaft geschickt, um dort zu überwintern und Pelztiere zu jagen. Den Mitgliedern dieser Jagdgesellschaften lieferte die Seekuh frisches Fleisch, das in einer Zeit höchst willkommen sein mußte, wo der Skorbut – eine Folge des Genusses von Salzfleisch – sehr gefürchtet war. Den ersten Expeditionen folgten andere, und das Borkentier mußte immer in vorderster Reihe herhalten, um Proviant zu liefern.

Außerdem pflegten Schiffe, die nach der Nordwestküste von Nordamerika fuhren, bei der Beringsinsel anzulegen, um dort einen Vorrat gesalzenen Seekuhfleisches einzunehmen. Damals gab es nämlich auf Kamtschatka keine Rinder, so daß man in der Seekuh eine höchst willkommene Fleischnahrung erblickte.

In den zwanzig Jahren zwischen 1743 und 1763 haben 19 Gesellschaften, jede 30 bis 50 Mann stark, auf der Beringsinsel überwintert, während andere auf der benachbarten Kupferinsel blieben und noch andere wenigstens Vorrat einnahmen. Während ihres Aufenthaltes auf der Insel lebten die Leute von frischem Seekuhfleisch; einen großen Teil ihrer Zeit verwandten sie darauf, Seekühe zu töten und einzusalzen.

Gewöhnlich harpunierte man das Tier von einem achtruderigen Boote aus und zog es nach kurzem Kampfe an das Ufer. Oder die Fuchsjäger schlichen sich vorsichtig an die im seichten Wasser liegende Seekuh heran, um sie durch einen Lanzenwurf tödlich zu verwunden. Dabei wurden verhältnismäßig wenig Borkentiere ohne weiteres getötet; die Mehrzahl von ihnen entwischte in tiefes Wasser, um dort zu sterben und später ans Ufer getrieben zu werden. Manche Seekuh ging dabei gänzlich verloren; andere wurden von den Jägern erst so spät gefunden, daß sie unbrauchbar waren, was um so öfter geschah, als ihr Fleisch schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Tode in Fäulnis überging.

Im Jahre 1754, nur 9 Jahre nach der Entdeckung der Kupferinsel, war Stellers Seekuh auf dieser vertilgt, und 1763 war sie wahrscheinlich auch auf der Beringsinsel nahezu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0415.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2021)