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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

überfällt; kommt todkrank in Genua an, kann andern Tages nicht mehr das Bett verlassen und wird schließlich von Madame Alabotschew und Sohn vermittelst der Polizei aufgefunden. Zum Glück ist sie bewußtlos, zum Glück sind wir zufällig dort und gebrauchen zufällig denselben Arzt, den das Hotel requiriert hatte für die Kranke. Sie wissen das ja von meiner Frau. Ich konnte sie einer Besprechung mit der Behörde nicht entziehen, als sie zur Besinnung gekommen war. Das andere glaube ich in Ihrem Sinne – zu Ende geführt zu haben. Zu machen war nichts, das gemeine Volk war in seinem Rechte.“

„Wieviel, Herr Graf?“ hat Anton gefragt, nachdem er einen Dank gestammelt.

„Lieber Mohrmann –“ – der Graf ist ganz verlegen – „ich weiß, die Zeiten sind schlecht, für keinen schlechter als für Sie, der Sie ja den größten Wasserschaden von uns allen hatten. Sie wissen – ich – wenn’s Sie irgendwie geniert – ich brauch’s nicht so notwendig. – – Es ist immerhin – die kleine thörichte Frau – – aber so geht’s, die Sünden der Väter – – der alte Lothar Wartau war ja die tollste Spielratte, die Gottes Erdboden je getragen, und wenn so ein Geschöpfchen allein auf der Reise – – Ich bitte Sie, verzeihen Sie, ich kenne die Gründe nicht – ein Erziehungsinstitut wäre jedenfalls geeigneter gewesen – wie gesagt, lieber Mohrmann – ich –“

„Wieviel, Herr Graf?“ hat er noch einmal gefragt.

„Eh! bitte, erschrecken Sie nicht – fünfzigtausend Franken – ich bin überzeugt, sie hat kaum die Hälfte – –“

„Fünfzigtausend Franken!“

Anton hat kurz aufgelacht. „Ich danke Ihnen, Herr Graf, die Summe wird Ihnen übermorgen zur Verfügung stehen. Was Sie sonst noch gethan haben, das zu vergelten bin ich vorläufig nicht imstande, werde es Ihnen aber nie, nie vergessen, Ihnen und der hochverehrten Frau Gräfin nicht.“ Dann ist er wieder aufs Pferd gestiegen und heimgeritten. Fünfzigtausend Franken! Es geht rasch bergab – fünfzigtausend Franken! Weiter kann er nichts mehr denken. Und wieder packt ihn der Ekel, der Ekel vor seinem ganzen Leben, vor der leichtsinnigen, sterbenden Frau, vor sich selbst und vor seiner ganzen Umgebung.

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Der kleine Lauscher.
Nach dem Gemälde von C. Fröschl.

Und daheim tritt ihm der Arzt entgegen, der alte wackere Freund von damals, nicht Ediths feiner Sanitätsrat, den sie sich sonst dreimal die Woche aus Leipzig kommen ließ, wenn ihr ein Fingerchen wehthat. Es hätte zu lange gedauert, bevor er eintreffen konnte, und Fräulein Tonette hat zufällig den Landarzt drüben bei Heines vorfahren sehen, wo ein Mädchen krank liegt. Und dieser sonst so polternde, derbe Mann bringt heute kein Wort heraus, als er dem Hausherrn die Rechte schüttelt.

„Na,“ sagt er zwischen vielem Räuspern, „wird ja wieder werden, aber Ruhe, Ruhe, viel Ruhe vorerst, später wollen wir sehen – vielleicht viel Nervöses dabei. Uebrigens, die Mutter hatte es auch, darum die Heulerei der alten Damen. Komme morgen früh wieder; gute Nacht, Mohrmann.“

Er kann nicht weiter sprechen und klopft nur dem großen Manne wie beruhigend auf die Schulter. „Sehen auch schlecht aus – nehmen Sie ein Phenacetinpulver, wenn Sie Kopfweh haben, und – wachen Sie nicht etwa bei ihr, es thut ihr und Ihnen nicht gut. Guten Abend noch einmal!“

Und drüben bei Frau Heine setzt sich der Arzt schwer in den Lehnftuhl des Hausherrn, die Hände auf den Stock gestützt, den er zwischen den Knieen hält. Die kleine Frau ist furchtbar aufgeregt und bestürmt den alten Herrn mit Fragen.

„Ist’s wahr, daß sie zurückgekommen ist? Herrgott, sie wollte sich, denke ich, nun endlich scheiden lassen? Wenigstens hofften wir es immer, damit nur Ruhe würde drüben. Nein, ist’s denn nur wirklich wahr, Herr Doktor – und krank dazu?“

Er nickt. „Unser Herrgott findet allemal einen Ausweg,“ sagt er vor sich hin.

„Was meinen Sie?“ erkundigt sich Frau Heine.

Und der alte Mann trinkt den Korn aus, den ihm die junge Frau gebracht hat, schüttelt sich gebührendermaßen dabei und steht auf. „Da braucht’s kein irdisches Gericht mehr, Frau Heine. Ist mein Wägelchen vorgefahren? Na, dann gute Nacht, und grüßen Sie Ihren Mann.“


Anton sitzt die halbe Nacht auf mit seinem Inspektor, und in aller Morgenfrühe rüstet sich dieser schon zu einer Reise und schimpft dabei immer halblaut vor sich hin.

„Natürlich ist’s wahr, daß alles Elend durch die Weiber in die Welt kommt! Herrgott, und so was, so was – wie dies wohl endet? Und drei Kinder dazu!“

Als sein neugieriges Frauchen ihn bittet, ihr doch um Gottes willen zu verraten, was denn außer der Krankheit noch geschehen sei, faßt er sie am Ohrläppchen und sagt: „Uebers Jahr sitzen wir wo anders – verstehst du? Uebers Jahr, da sind wir so weit.“

„Versteh dich nicht!“ antwortet sie mit ängstlichen Augen.

„Lieschen,“ spricht er, ihr Ohrläppchen frei gebend und den Arm um sie schlingend, „es ist auch nicht nötig, daß du es verstehst, wirst schon früh genug dahinter kommen. Aber das sage ich dir, der Mohrmann kann einen jammern bis in die Seele ’rein; was zu viel ist, ist zu viel! Und nun leb’ wohl, bist ein gutes Tierchen. Der barmherzige Gott bewahre meinen ärgsten Feind vor einem leichtsinnigen Weibe!“

Mit dieser orakelhaften Auslassung nimmt er seufzend Abschied und seine Frau blickt ihm kopfschüttelnd nach. Natürlich ist irgendwo irgendwas passiert mit der Gnädigen drüben – unterwegs; er hätt’s ihr doch sagen können? Nun sitzt sie da und vergeht vor Neugier.

Im Schlosse ist, sozusagen, das unterste zu oberst gekehrt. Tante Tonette und so viel andere Hände, wie aufzutreiben waren, wirtschaften einher, um der Kranken Erleichterung zu schaffen. Man hat den riesigen Saal geheizt und die halbe Orangerie aus dem Gewächshaus hinausgeschafft; die Aermste hat solch schrecklichen Lufthunger. Sie ruht halb sitzend im Bette, und ihre Hände zerren das spitzenbesetzte Nachtjäckchen von der armen kranken Brust, als drücke es dieselbe. Sie hat eine Angst vor dem Sterben, nicht zu sagen.

Die Poldi ist heute früh eingetroffen mit sämtlichen Sachen, die Edith unterwegs eingekauft hat, mit drei oder vier häuserhohen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0369.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2024)