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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Ach was! Erzähle mir lieber, ich rege mich mir auf bei ihren Weisheitspredigten.“

„Sie fordert dich auf, dich mehr einzuschränken, weil Mohrmann unmöglich fernerhin so viel geben kann wie bisher.“

„Was?“ ruft Edith atemlos, „in seinem Auftrage?“

„Das schreibt sie nicht, sie erzählt nur, daß er sich thatsächlich durch den gänzlichen Ausfall der Ernte in Verlegenheit befindet.“

„Und das glaubst du natürlich pflichtschuldigst,“ sagt Edith geradezu mitleidig. „Du bist doch recht nervös geworden, Tante. Bei den Einnahmen aus dem Flußspatwerk – lächerlich! Nun hat dir Josepha dasselbe vorgeklöhnt, was er mir seiner Zeit weiszumachen versuchte; die scheint ja neuerdings auf ihn zu schwören, die gute Tante Josepha. Eine verunglückte Ernte wirft ihn nicht um – beruhige dich!“

„Aber Kind, du vergißt, daß drei schlechte Ernten vorangegangen sind, daß die Einrichtung und der Umbau des Schlosses eine recht anständige Summe gekostet haben, daß der Haushalt auf einen sehr großen Fuß eingerichtet war – –.“

„Wirklich?“

„Ja – wirklich! denn nach dem, was mir Josepha schreibt, haben sie in Wartau all und jeden Luxus beiseite gelegt, die Pferde verkauft, Dienerschaft entlassen – Gott weiß was noch!“

„Meine Pferde?“ ruft Edith, „natürlich meine Pferde, das ist toll, das ist einfach perfid!“

„Es wird doch wohl nötig gewesen sein – bitte, lies doch selbst, Edith!“

„Danke! Solche lächerliche Faxen mag ich nicht wissen, und wenn Mohrmann denkt, mich dadurch zurückzuzwingen, so irrt er sich. Ich komme höchstens auf seine Bitte, und dann vielleicht auch noch nicht gleich, und damit basta!“

Mit diesen Worten geht sie an den elektrischen Knopf, und im Nu flammen in den sechs herabhängenden Blütenkelchen des Kronleuchters die Staubfäden auf, ein warmes goldiges Licht verbreitend.

„So! In der Helligkeit werden dir die Grillen wohl vergehen, liebe Tante, und nun will ich noch ein wenig schlafen vor dem Theater; schlafe du auch. In acht Tagen reisen wir über Palermo nach Alexandrien, Hauptmann von Röben wird den Reisemarschall machen. Für dich ist das alles ja nichts Neues, aber ich freue mich darauf, o ich freue mich!“

„Dann reise du in Gottesnamen,“ sagt Fräulein Tonette und erhebt sich aus ihrem Stuhl, „ich gehe nach Wartau zurück.“

Edith dreht sich an der Thür ihres Schlafzimmers um und starrt ihre Tante an, als sei sie ein Meerwunder. „Du läßt mich im Stich?“ stottert sie.

„Wenn du es so zu nennen beliebst, ja!“

In Tonettens Herz bäumt sich jetzt ein ebenso heftiger Trotz auf wie im Herzen der Nichte.

„Du hast die Pflicht, bei mir zu bleiben,“ betont Edith.

„Wo steht das geschrieben?“ fragt Tonette.

„Schön, liebe Tante, ich fühle mich vollständig reif genug, um allein zu reisen. Also, auf deine Verantwortung –“

„Ich lehne von dieser Minute an jede Verantwortung für dich ab,“ erklärt die alte Dame.

„Also – wann reist du, Tante?“

Und Fräulein Tonette sagt mit einem energischen Auftreten des Fußes: „Morgen!“ und geht aus der entgegengesetzten Thür in ihre Schlafstube; dort wirft sie sich zitternd in das Sofa und schluchzt vor Aufregung und Aerger. Was wird sie nun beginnen, was wird sie nun beginnen? Die junge Frau kann ja gar nicht allein reisen, das ist unmöglich nach Tonettens Begriffen von Sitte und Anstand. Aber sie ist schon überwunden; wenn dieser kleine Teufel morgen bittet und schmeichelt, dann geht sie auch gutmütig, aber freilich tief verstimmt mit nach Afrika; sie darf sie nicht allein lassen, wenn jemals wieder Friede werden soll!

Sie hört, wie Edith in die Oper fährt, sie hört sie spät in der Nacht zurückkommen. Auf dem Korridor verabschiedet sich der Hauptmann von ihr, seine schnarrende Stimme dringt deutlich in das Ohr der aufgeregten alten Dame. „Um acht Uhr früh, gnädige Frau,“ sagt er. Und ebenso hört sie Ediths silbernes klangvolles Organ: „Sie müssen mich schon entschuldigen, meine Tante reist morgen nach Deutschland zurück, ich möchte sie doch auf den Bahnhof begleiten. Gute Nacht, Herr von Röben!“

„Allmächtiger Gott!“ spricht Tante Tonette vor sich hin und ringt die Hände, „sie ist imstande und forciert meine Abreise!“

Natürlich schläft sie keinen Augenblick, und am andern Morgen plagt ihre Migräne sie schlimmer als je; es ist keine Möglichkeit, abzureisen.

Edith steht in einem hochroten Flanellnegligé an ihrem Bette und sagt teilnehmend: „Tante, da wirst du die Abreise vermutlich um vierundzwanzig Stunden verschieben müssen; wie gut, daß der Anfall nicht unterwegs kam!“

Die Kranke stöhnt qualvoll unter dieser Marter und nickt der Nichte, sie möge sich entfernen.

„Ich gehe schon – armes Tantchen, recht gute Besserung!“ Und Edith macht eilends Toilette und kommt noch gerade zurecht, um mit Mardevelds und Hauptmann von Röben nach Pozzuoli zu fahren. „Poldi pflegt so gut Kranke,“ sagt sie, „und wenn einer Migräne hat, so ist ihm am wohlsten allein.“

Als am andern Morgen Tante Tonette einigermaßen schmerzfrei erwacht und Miene macht, aufzustehen, bemerkt Poldi, die ihr den Thee bringt, „Euer Gnaden brauchen sich gar nit zu ängstigen, i hab’ schon alles richtig verpackt, nur noch das bisserl, was Euer Gnaden zur Toilette brauchen, dann können’s reisen.“

Tonette ist nahe daran, wieder einen Anfall zu bekommen. Sie erklärt ganz matt, es sei ihr unmöglich, aufzustehen, sie habe noch zu starkes Kopfweh. „Lassen Sie mich nur allein, ich bitte Sie, und sagen Sie meiner Nichte, daß ich niemand sprechen kann, auch sie nicht.“

Als die Zofe gegangen ist, schleppt sie sich mühsam zu den Thüren, verschließt diese und schreibt ein Telegramm an Josepha:

„Veranlasse Mohrmann sofort, Wunsch zu äußern, daß Edith zurückkehre, sonst große Unannehmlichkeit. Brief folgt.

Tonette.“ 

Mit diesem Zettel und einem Zehnlirestück, dessen Betrag nach Abzug der Kosten dem freundlichen Boten gehören wird, steht sie an der Thür, die zum Korridor führt, und blinzelt durch einen ganz schmalen Spalt nach einer barmherzigen Seele aus, die das Telegramm besorgen soll. Allerlei Menschen passieren vorüber, niemand darunter, der sich eignet; endlich erscheint der Groom, der die Postsachen nach den verschiedenen Zimmern trägt, und wird in mangelhaftem Italienisch verständigt, ist auch sofort bereit, den Gang zu thun.

Ganz erschöpft, doch etwas ruhiger begiebt sich die arme Tante wieder in ihr Bett hinter die weißen Tüllvorhänge und läßt ihre trüben Gedanken spazieren gehen. Durch die Läden dringt hell die strahlende Sonne des Südens. Tonette hört im Salon nebenan Ediths Lachen und eine Herrenstimme.

„Wie wundervoll diese Veilchen!“ ruft die junge Frau. Eine sehr lange Unterhaltung entspinnt sich, endlich empfiehlt sich der Besucher. Tante Tonette hat den Hauptmann „von Jradezu“, wie sie ihn nennt, erkannt.

Was wird Mohrmann thun? Wird er Edith nie vergeben? Ja, was soll dann nur werden? Eine Reihe schreckhafter Zukunftsbilder entrollt sich vor ihr und die Reue klopft bitter an ihr Herz. Ja, sie ist nicht schuldlos daran, wenn er sich jetzt in Geldverlegenheiten befindet. Herrgott – der Umbau des Schlosses und die Einrichtung hat ja ein Vermögen verschlungen, Tapeten zu fünfzig bis sechzig Mark das Stück, und der Smyrnateppich im großen Saal, heller gelblicher Grund mit Rokokoarabesken und Rosen – sie schaudert jetzt, indem sie bedenkt, daß er dreitausend Thaler gekostet hat.

Warum ist er nur nicht dazwischen gefahren mit einem Donnerwetter, hat die Stirne gerunzelt, gefragt: „Muß das durchaus sein?“ Na ja, die Stirn hat er wohl gerunzelt, das hat man gesehen, aber nicht darauf achten wollen. – Er konnte ja einfach verbieten, warum litt er es denn? Es wird schon so sein, wie Josepha schreibt. – Die verschwemmte Ernte, das ist schlimm, aber wer kann denn dafür? Ein bissel übertrieben wird Josepha auch haben, doch in einem hat sie recht: Edith muß sich mehr einschränken! Ueberall werden Toiletten gekauft, und Kunstgegenstände, und immer die besten Zimmer in den Hotels

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0346.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2020)