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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 10.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Das Maienblasen auf dem Stadtturm in Innsbruck.
Nach einer Skizze von F. Menter gezeichnet von Fritz Bergen.

Die arme Kleine.

Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach.

 (3. Fortsetzung.)

Das hellgetünchte riesige Zimmer, das der Erzieher in der Nähe seiner Zöglinge bewohnte, war äußerst einfach eingerichtet. Zufällig schienen die kleinsten Möbel sich in den größten Raum verirrt zu haben. Unter anderm stand da ein altmodisches, mit schwarzem Leder überzogenes Etablissement und nahm sich in dem reitschulartigen Gelaß wie eine Fliegenfamilie aus.

Heideschmied zündete eine Kerze an, stellte sie auf den Tisch und ließ sich auf das untere Ende des Ruhebettes nieder.

Joseph bereute schon, daß er gekommen war. – Der wird noch übermütig, der! Bildet sich noch ein, daß man sein Hund ist und gelaufen kommt, wenn er ruft.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ sagte Heideschmied.

„Nein.“

„Nach Belieben. Sie werden aber lang’ stehen müssen, denn ich habe Sie zu einer Unterredung geladen, die nicht so bald zu Ende sein wird.“

„Wenn es sich um eine Explikation handelt, muß ich Ihnen gestehen, daß ich die nicht liebe.“

„Auch ich nicht,“ sprach Heideschmied mit seiner leisen, friedfertigen Stimme, „sie sind überflüssig zwischen Menschen, die einander verstehen, und zwischen Menschen, die einander nicht verstehen, zwecklos. Aber es giebt zwingende Notwendigkeiten. Man wagt manchmal einen verzweifelten Versuch. Einen solchen will ich – bitte, lassen Sie mich ausreden! – will ich unternehmen. Bitte!“ wiederholte er sanft, da Joseph ihm abermals ins Wort fallen wollte.

„Ohne Einleitung! ich werde Sie nicht langweilen, ich komme gleich auf den Hauptpunkt. Sie verachten mich, Joseph, weil ich um Geld diene. Nun, wer ist schuld, daß ich einem höheren Zweck nicht dienen kann? Aber, lassen wir das jetzt … Wir befinden uns im Kampfe. Sie wollen mich aus dem Hause hinausfoltern, ich will mich drin behaupten. Sie denken: wir werden sehen, wer der Stärkere ist. Ich weiß, daß ich es bin. Meine Schultern vermögen mehr zu tragen, als Sie ihnen aufzubürden vermögen.“

„Oho,“ sagte Joseph.

„Diese Stärke verdanke ich der Uebung im Kampfe und dem einen, von dem ich wünsche, daß Sie es nicht zu früh kennenlernen – dem Leiden.“

Joseph fuhr auf: „Jeder Mensch hat seine Leiden. Was wissen Sie von dem, was in mir vorgeht?“

„Vielleicht kann ich es mir denken,“ erwiderte Heideschmied. „Ihre Leiden sind aber anderer Art, als die meinen waren.“ Er lächelte trotz der Schmerzen, die seine Lippe ihm dabei verursachte. „Sie haben Beobachtungsgabe und kennen so ungefähr etwas vom Elend Ihrer Landbevölkerung …“

„Ungefähr etwas,“ wiederholte Joseph mit hochmütigem Achselzucken.

Nur das, denn ernstlich – was Männer ernstlich nennen –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0293.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)