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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Nun erscheinen noch 32 Darsteller: die Schanaken (nichtverkleidete Lamas) und endlich, zum Schluß der Feier, Tschoitschshila mit einem großen blauen Ochsenkopfe, der, während sich alle übrigen zurückziehen, allein auf der Scene zurückbleibt und dem letzten Akte: der Zertrümmerung der Figur des Linká, (symbolische Figur) beiwohnt. Dann folgt ein Schluß-„Chural“: ein feierliches Gebet. – – –

Doch kehren wir zurück in den Tempel!

„Maidari“, der zukünftige Weltbeherrscher, der zweite Buddha aus der Zahl der tausend buddhistischen Weltregierer, der Gelbleibige, nach dem man den Lamaismus auch die „gelbe Religion“ nennt, war im Tempel am Gänsesee zur Zeit meines Besuches mehrfach und in verschiedener Größe vertreten.

Im ganzen waren über 40 Götzenbilder – einige doppelt – im Tempel vorhanden, wozu noch einige Modelle des „Tuschit“ (Himmelreiches) in Form von Häuschen, das Bildnis des Reformators Tsonchawá und mehrere andere heilige Abbildungen hinzugerechnet werden müssen. Ueberall, der ganzen Götzenreihe entlang, standen in kleinen blanken Schälchen Opfergaben: Quellwasser, Getreide, Fett, Butter, Naschwerk etc., umher, zwischen welchen Gegenständen Pauken, Trommeln, Becken, Trompeten und Glocken, die Attribute des Gottesdienstes, aufgestellt waren. Da außerdem die Götzen teilweise in Seidenzeug der eigentümlichsten und buntesten Färbung gehüllt waren, so daß nur ihre Fratzen hervorsahen, und außerdem überall der Rauch von wohlriechenden Kerzen und Räucherstäbchen emporstieg, so erhielt das Ganze einen auf Nichtgewöhnte überwältigend wirkenden Eindruck. Nichts Feierliches war eigentlich vorhanden, nur die grelle Buntheit, der Höllenlärm um mich her, sie waren die effektschaffenden Mittel, die auf den schlichten, biederen und auf so niedriger Kulturstufe stehenden Buriäten besonders kräftig einwirken müssen.

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Maskentypen von dem Feste „Tsamm“.
Nach einer Aufnahme des photographischen Ateliers Petrow in Irvyzkossawsk.

Ein verhängter Glasschrank, der sich durch die Freundlichkeit meines Gastgebers vor mir erschloß, enthielt den Genius: die Beschützerin des Klosters Ochin-Tengri, eine fratzenhafte Frauengestalt zu Pferde, die in der einen Hand ein Kind, in der anderen als Schale (Gabalu) den Schädel eines Menschen hielt. Vor dieser Gestalt waren besonders viele Opfergaben und wohlriechende Räucherstäbchen aufgestellt.

Wir traten hinter der Barriere, welche die Götzen gegen den Tempelraum abschließt, hervor, und nun fiel mein Blick auf zahlreiche, von der Decke und den Wänden herabhängende, prachtvoll in Seide gestickte Verzierungen, welche, von Privatpersonen gestiftet, einen wahrhaften Schmuck bildeten. Entweder waren es riesenhafte, 15 bis 20 Fuß lange, in den buntesten Farben prangende Cylinder, die, obgleich sie keine Gebete enthielten, gleichfalls „Tschalzan“ genannt wurden, oder es waren flaggenartige Seidenstücke, die senkrecht herabhingen und oben durch einen nachgebildeten Fischkopf gehalten wurden. Auch buntfarbige Schnüre mit den kunstvollsten Knoten in ihnen, sogenannte Schemá, auf Seide gestickte Wirtschaftsgeräte und Reiseutensilien hingen überall herab, eine schreiend bunte Dekoration abgebend.

Im vorgenannten besonderen Pavillon des Maidari öffneten sich vor mir noch acht Schränke, in denen die heiligen Bücher, der 108 Bände enthaltende Ganshur und der 225 Bände starke Danshur, aufbewahrt werden, die in tibetanischer Schrift Aufschluß über Sitten- und Glaubenslehre geben, aber auch Abhandlungen über Medizin, Mathematik und namentlich astrologische Weisheit enthalten. – Nun hatte ich den Heidentempel gesehen, mein Zweck war erreicht und ich konnte weiterziehen. Ich war meinem Gastgeber, dem Lama, kein bequemer Gast gewesen, vielleicht hat er sich durch mich nach Rückkehr des Bandido-Chanbo-Lama einen Verweis zugezogen, aber so lange ich in seinem Hause weilte, wahrte er mir gegenüber den Takt eines Weltmannes, er behandelte mich mit der ganzen Herzlichkeit eines Menschenfreundes. Auch unter der gewöhnlichen mongolischen und buriätischen Landbevölkerung, diese und jene sind vorwiegend Lamaïten, habe ich bis heute wohl eine kaum glaubliche Armut, doch nirgends Geiz, Habsucht und namentlich ein feindseliges, intolerantes Benehmen gegen mich, den fremden einsamen Wanderer, bemerkt.


Naturspiele.

Von Rudolf Kleinpaul.


In den Wildnissen des fernen Westens, jenseit des Missouri, hauste in den fünfziger Jahren, mit dem Urwalde und dem Indianer um die dürftige Existenz ringend, ein deutscher Farmer, ein sogenannter Hinterwäldler. Weit weggesetzt von der europäischen Civilisation, wollte er doch seiner Familie die Segnungen der Kultur erhalten und in seinen Mußestunden sein hoffnungsvolles Söhnlein in der Kunst des Schreibens unterrichten. Das Schreibebuch wurde von Karlchen, nach der allgemeinen Liebhaberei künstlerisch veranlagter Kinder, noch mehr zum Malen und Karikaturenzeichnen als zum Schreiben benutzt: der kleine Deutsch-Amerikaner hatte sich, so scheint es, auf die Hieroglyphenschrift gelegt und Blatt für Blatt mit jenen elementaren Abbildungen, jenen grotesken Fratzen bedeckt, wie man sie bei uns an den Mauern oder im Sande anzubringen liebt, und die man, wenn sie aus Rom oder Pompeji stammen, Graffiti, auf deutsch aber Kritzeleien oder Sudeleien nennt: Narrenhände beschmieren Tisch und Wände. Besagtes Schreibebuch hatte indes ein eigenes Schicksal, es sollte in Holz geschnitten, in einer Kaiserlichen Staatsdruckerei vervielfältigt, in Juchtenleder gebunden und kostbar ausgestattet, an alle Bibliotheken der civilisierten Welt versendet werden. Es war, wer weiß durch welchen Zufall, auf die Prairie geraten und einem französischen Missionär, dem Abbé Domenech, in die Hände gefallen, der den Nachkommen der Azteken das Evangelium predigte. Er glaubte Wunder was gefunden zu haben; wie Humboldt die Figuren von Himmelskörpern, Krokodilen und Schlangen, die in Guayana in Felsen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0272.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)