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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Siebener“-Programms wie des Struveschen Antrages ein. Die meiste Zustimmung aber fand der Bayer Eisenmann, der sich, nachdem er unter dem absoluten Fürstenregiment so viele Jahre hatte leiden müssen, mit Wärme für den Wert der konstitutionellen Monarchie aussprach. Er brachte die von der Mehrzahl geteilte Empfindung zum Ausdruck, daß die Versammlung, in welcher Norddeutschland und Oesterreich viel geringer vertreten waren als die südlichen Mittelstaaten, in der z. B. aus Baden 72, aus Hessen-Darmstadt 84, aus ganz Preußen 141, aus Hannover nur 9 und aus Oesterreich nur 2 Abgeordnete saßen, nicht den Willen der ganzen Nation genügend verkörpere, um über die künftige Verfassung Deutschlands entscheidende Beschlüsse zu fassen. Es handle sich darum, die Möglichkeit herbeizuführen, daß eine legislatorische Beratung hierüber stattfinde. Die Frage, wie das deutsche Parlament am schnellsten hergestellt werden könne, sei die Aufgabe der gegenwärtigen Versammlung. In diesem Sinne sprachen auch Wiesner aus Wien, Jaup aus Darmstadt und von demokratischer Seite Karl Vogt aus Gießen. Der letztere schlug vor, man solle beschließen, die konstituierende Nationalversammlung möge „souverän“ entscheiden, ob sie die Monarchie oder die Republik wolle, ihr Beschluß werde für alle maßgebend sein. Dies trieb Welcker zu einer heftigen Einsprache. Er war durchdrungen davon, daß die „Reform“ nur zu retten, die Revolution nur dann zu vermeiden sei, wenn ein Beschluß des Vorparlaments sich bestimmt gegen die Republik ausspreche, bevor der Wahlkampf für das Parlament sich des Schlagworts bemächtige. Er erklärte, der Vorschlag Vogts sei nicht so harmlos wie er scheine. „Es giebt Leute,“ rief er, „die wollen, daß wir alle achtunddreißig Regierungen absetzen, und die meinen, wir könnten dies. Ich meine dagegen, wir können es nicht, und ich will es auch nicht!“ Da meldet sich wieder Vogt zum Wort. „Der Herr Abgeordnete – oder vielmehr der Herr Bundestagsgesandte Welcker“ – beginnt er mit scharfer Betonung, da unterbricht ihn ein Entrüstungssturm, der nicht enden will, von den Galerien wird gegen diesen gelärmt, und der Präsident sieht sich genötigt, die Sitzung für eine Weile aufzuheben. Das Ergebnis der Debatte aber war, daß sowohl die Beratung des Antrags Struve wie die des „Siebener“-Programms durch die Annahme des Antrags Eisenmann verworfen wurde.

Franz Raveaux.
Nach der Lithographie von Schertle.

Doch zuvor hatte Heinrich v. Gagern Gelegenheit, seinen Standpunkt in wirksamer Rede zu wahren, und der Beifallssturm, den sie weckte, sicherte diesem den Sieg. Er schloß sich im Prinzip dem Antrag Eisenmann an, erklärte aber, daß die heutige Versammlung doch nicht jene Grundsätze unberührt und unausgemacht lassen dürfe, auf deren Basis Deutschland sich künftig gestalten solle. „Glauben Sie, daß wir die Grundsätze verkündigen sollten, die Herr v. Struve in seinem Antrag uns vorlegte? Glauben Sie, daß wir es in einem Augenblick thun sollten, wo es gilt, praktische Aufgaben zu lösen, Deutschland zu vereinigen und für den Fall eines Krieges zu kräftigen? Glauben Sie, daß das der Weg wäre, den Kredit wieder zu heben und die Nahrungslosigkeit zu beseitigen, die auf uns alle drückt?“ Er nahm für die Versammlung das volle Recht der Volkssouveränität in Anspruch, verwarf aber das der Revolution; er rief: um der Einheit willen gelte es jetzt, sich um die Prinzipien der Freiheit zu scharen, mit denen das Prinzip der Monarchie im Staate bestehen könne. „Sprechen Sie die Ansicht dieser Versammlung aus, damit sie in Deutschland wiederhalle, in Preußen, an der Nord- und Ostsee, in Oesterreich und bis nach Ungarn hin, die Ansicht, daß wir an der Monarchie festhalten, daß wir zwar eine Versammlung bilden, welche die Freiheit will und um des Volks und der Volkssouveränität willen besteht, aber dem Prinzip der Monarchie im Staate treu bleibe und zugleich der Notwendigkeit der Durchführung einer Einheit huldige!“ Von diesem Moment an war Heinrich von Gagern der Führer der konstitutionell gesinnten Majorität, als welcher er auch im weiteren Verlauf der viertägigen Redeschlacht das Feld gegen die Versuche der Heckerschen, das Vorparlament zum Werkzeug der Revolution zu machen, siegreich behauptete.

In Hecker und Gagern traten sich hier in gewinnender und echt deutscher Verkörperung die beiden Prinzipien entgegen, die jetzt zu einem Kampfe auf Leben und Tod in dem freiheitlichen Aufschwung des Vaterlands aneinander geraten waren. Friedrich Hecker, der warmblütige Pfälzer, sechsunddreißigjährig, ein Liebling des Volks wegen seines mannhaften Eintretens für dessen Interessen auch in sozialer Beziehung, von schwärmerischer Begeisterung erfüllt für ein unklares Staatsideal, vertrat den Freiheitsrausch eines jüngeren Geschlechts, in dem die Lieder Herweghs und Freiligraths wiederklangen und das im Handumdrehen – wie die Wiener Studenten Metternich gestürzt hatten – über den Trümmern der vermeintlich morschen deutschen Throne einen Freistaat allgemeiner Volksbeglückung errichten wollte. Heinrich v. Gagern, der tapfere Hesse, in der Vollkraft reifen Mannesalters, aufgewachsen als Sohn eines liberalen Staatsmannes der Steinschen Schule, in der Jugend ein Mitkämpfer gegen Napoleon bei Waterloo, dann ein Mitgründer der deutschen Burschenschaft, als hessischer Beamter und Volksvertreter ein Opfer der Reaktion von 1832, brachte seine unverbrauchte, in der Zurückgezogenheit des Landlebens bewahrte Frische dem Vaterland dar, als der befähigtste von seinen Schicksalsgenossen für ein gleichzeitiges Wirken als Volksfreund und als Staatsmann.

J. G. Heckscher.
Nach der Lithographie von Schertle.

Jacob Venedey.
Nach der Lithographie von Ph. Winterwerb.

Der weitere Verlauf des ersten Tags schien die Gegensätze beschwichtigen zu wollen. Die feierliche Ansprache Robert Blums, welche zur Mäßigung mahnte, wurde auf allen Seiten beherzigt. Die Mahnung, um der zu schaffenden Einheit willen Einigkeit zu bewahren, klang dann am Abend auch unter dem Beifall von Tausenden vom Balkon des „Englischen Hofs“ auf den Roßmarkt herab, als die Frankfurter Turner und Sänger dem Präsidium des Vorparlaments einen großartigen Fackelzug darbrachten und auf die Begrüßungsreden von Mappes und Jucho die Mitglieder des Präsidiums Mittermaier und Itzstein, Dahlmann und Sylvester Jordan begeisternde Ansprachen hielten. Und herzerhebende Einhelligkeit herrschte am zweiten Beratungstag bei den Beschlüssen, welche für die Wahlen zum Parlament das allgemeine gleiche Stimmrecht einführten, herrschte bei den Kundgebungen für Deutsch-Oesterreich, Schleswig-Holstein und Polen. Da weckte die Frage, wie die Wahlen zum Parlament durchzuführen seien, aufs neue den Streit. Wesendonck stellte den Antrag, ein Ausschuß von fünfzig Mitgliedern solle mit der Aufgabe betraut werden, direkt bei den einzelnen Regierungen den Wahlakt durchzusetzen. Dieser Antrag sah von der Vermittelung des Bundestags ab, welche das „Siebener“-Programm vorgeschlagen hatte. Sofort tauchte auch die Heckersche Forderung der „Permanenz“ wieder auf und es zeigte sich, daß selbst unter den Gemäßigten sich viele für ein Zusammenbleiben der ganzen Versammlung bis zur Konstituierung des Parlaments hatten einnehmen lassen. Aber Welcker, der die revolutionären Endziele Struves nicht aus dem Auge verlor, trat nunmehr mit Entschiedenheit für den Antrag der „Siebener“ ein, daß ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0256.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)