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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„das ist ja alles recht gut und schön, aber daß du nachher gar so einsam bist, wenn du dich müde geschafft hast, das ist mir ein trauriger Gedanke.“

„O, ich habe auch Verkehr,“ lächelt Christel, „könnte ihn wenigstens haben. Pastors sind nette Menschen und Oberförsters auch, und der Gutsbesitzer Wendlandt ist ebenfalls ein ganz gebildeter Mann, leider ist seine Frau gestorben, kurz bevor ich herkam. Diese Leute alle fordern mich immer so freundlich auf, sie zu besuchen, kommen auch manchmal zum Nachfragen her, und später, wenn ich erst so recht in der Reihe bin mit der Wirtschaft, dann halte ich vielleicht mit; sie haben nämlich so eine Art Kränzchen. Jetzt überfällt mich noch immer gerad’ unter frohen Menschen mein Unglück so schwer, ich werde dann nur immer stiller. Nein, sorge dich nur nicht, Lotte: ich halte mir jetzt auch wieder unsere alte liebe ‚Gartenlaube‘ und lese auch sonst, sogar gelehrte Sachen. Ja, du wirst dich wundern, Lotte,“ und sie holt ein Buch vom Gesims der Vertäfelung, „da schau: ‚Die Königin des Tages‘ von M. W. Meyer. Ach du, da lernt man sich klein fühlen und seinen Schmerz als unbedeutend erkennen der großen unendlichen Schöpfung Gottes gegenüber.“

„‚Die Sonne und ihre Planeten, populäre Vorträge‘,“ liest verwundert Frau Pastorin. „Das hätte ich dir nie zugetraut, Christel!“

Christel lächelt und beginnt eben die Einnahmen und Ausgaben des Tages in ihr Buch einzutragen. Dann deckt Marie den Tisch zum Abendessen, ein Knecht schlägt draußen die Läden vor die Fenster, es ist so traut, so heimelig hier innen beim Lampenschein am warmen Ofen und der tickenden Schwarzwälder Uhr an der Wand.

Marie setzt vier Teller auf den Tisch. „Du mußt entschuldigen, Lotte,“ sagt Christel, „der Meier ißt abends hier mit, und die Marie auch, sie müssen etwas voraus haben vor den zwei Knechten und der Stallmagd,“ setzt sie erklärend hinzu, „wegen dem Ansehen, dem Respekt.“

Ein alter Mann von ungefähr sechzig Jahren tritt dann ein und setzt sich nach dem Abendgebet mit herzu; Marie, die eine Schüssel neuer Kartoffeln, sowie Hering, Schinken und Bier aufträgt, nimmt ebenfalls ihren Platz ein. Zuerst ist es ganz stumm am Tische, die Leute essen langsam und schweigend; ab und zu richtet Christel ein freundliches Wort an die Pastorin.

Als endlich der alte Mann gesättigt ist und sein Bier mit einem langen Zuge ausgetrunken hat, sagt er kurz: „Die Kartoffeln sind aufgeschlagen um fünfundzwanzig Pfennige, Frau.“

„Dann wollen wir sie hingeben, Hoch.“

„Die Frau hat wieder mal recht gehabt, als sie noch warten wollte,“ antwortet er, „hätt’s nicht geglaubt, daß sie heuer so gut in Preis kommen, die Kartoffeln. Wann soll ich sie hinüberfahren, Frau?“

„Nächste Woche, in den ersten Tagen. Das Fohlen kann mitlaufen bis Dittsdorf.“

„Verkauft, Frau?“

„Ja, heute früh an Reinhardt.“

„Ordentlich was gekriegt, Frau?“

„Mehr als Sie prophezeiten,“ lächelt Christel.

Der lächelt auch, ein listiges, schlaues Lächeln, das in diesem Fall besagen will: die läßt sich nicht ausfragen, alter Schwede, spar’ deine Mühe! Er erhebt sich und sagt: „Gute Nacht, beisammen!“

„Gute Nacht, Hoch!“

Und nun geht auch Marie, nachdem sie den Tisch abgeräumt hat, kommt aber wieder mit einem großen Korb voll Handarbeiten und setzt sich mit an den Tisch.

„Für die Dorfbewohner zu Weihnacht,“ erklärt Christel und beginnt eifrig zu nähen. „Du kannst heute abend zu deiner Pate gehen,“ sagt sie dann zu dem Mädchen, „um zehn Uhr bist du wieder daheim.“

„Dank schön, Frau!“

„Wie komisch die Anrede klingt,“ bemerkt die Pastorin, als das Mädchen sich entfernt hat.

„Ja, wie sollen sie mich denn aber nennen, Lotte? Frau Mohrmann? – Das kann ich nicht hören, und beim Vornamen will ich mich doch nicht rufen lassen von meinen Leuten.“

„Ja, du hast recht, Christel.“

Und nun sprechen sie noch von ihrer Kinderzeit, nur Wartau vermeiden sie.

Gegen Acht schlägt der Metallklopfer der Hausthür auf seine Platte, Christel erhebt sich und verläßt die Stube. Die Schwester hört, wie sie im Flur öffnet und wie eine Männerstimme fragt, ob man nicht störe. Gleich darauf tritt Christel wieder ein, hinter ihr ein großer schlanker Mann, so um die Fünfzig herum, mit stillem, aber intelligentem Gesicht, der sich etwas unbeholfen vor der Pastorin verbeugt.

„Liebe Lotte, das ist Herr Gutsbesitzer Wendlandt, mein Nachbar. Setzen Sie sich doch, Herr Wendlandt, und – womit kann ich dienen?“

Der Angeredete wird verlegen. Er habe keinerlei Anliegen, sei nur da vorübergegangen und die Lampe habe so freundlich durch die Ausschnitte der Läden geblickt; da habe er gedacht, die Frau Nachbarin sei just so allein wie er und freue sich vielleicht über eine Ansprache.

Christel sieht den Mann groß und zerstreut an, aber sie antwortet keine Silbe. Die Pastorin blickt von einem zum andern und plötzlich ist sie mit ihm im Gespräch. Er erzählt vertrauensvoll alle seine Schicksale – vier Kinder sind ihm gestorben, und zuletzt auch die Frau im Wochenbette, das Würmchen aber lebt. Es sei traurig in einem Hause, wo die Frau fehle.

Christel verläßt einen Augenblick die Stube, die Blicke des Mannes folgen ihr; als sie wiederkommt, trägt sie Bier und Gläser. Es ist mal so auf dem Lande, die Gastfreundschaft muß bewirtet werden. Sie hört gerade noch, wie er sagt: „Ja, die Frau Mohrmann – das ist ’ne Frau!“

Mit einem eigenartig kühlen Zug um den Mund bietet sie die Erfrischung an und bringt dann das Gespräch auf unpersönliche Dinge. Die Pastorin ist ganz erstaunt, wie der einfache Mann erzählen kann. Er ist dazumal vor Paris verwundet worden, hat lange gemeint, seinen Gutshof nicht mehr wiederzusehen, so schwer lag er danieder. Er spricht über Politik und über Steuern, über die schlechte Lage der Landwirtschaft wie ein Buch. Ab und zu sagt Christel ein Wort dazu, und als es zehn Uhr schlägt, erhebt sich der Gast.

„Wenn Sie mir erlauben wollten, wieder einmal abends vorzusprechen,“ sagt er zu Christel an der Hausthür, als er ihr zur „Gute Nacht“ die Hand schüttelt.

„Ach, lieber Wendlandt,“ antwortet sie, „ich bin noch nicht heraus aus meiner Trauer. Sie wissen wohl, ich habe meinen Mann verloren, anders wie Sie Ihre Frau, aber doch verloren, und ich weiß, ich werd’ mich nie davon erholen. Es giebt so viel lustige Menschen auf der Welt, gehen Sie zu denen – ich bin eine müde, traurige, einsame Frau und tauge nicht zum Schwatzen und Gemütlichsein – – nehmen Sie es mir nicht übel, ich spreche wie es mir ums Herz ist.“

Er läßt ihre Hand nicht los. „Nein, nein,“ murmelt er, „auch Sie müssen wieder anders ins Leben sehen, auch Sie, Frau Nachbarin!“

Aber sie entzieht ihm die Rechte gewaltsam. „Geben Sie acht, Herr Wendlandt, die Stufen sind ungleich und es ist dunkel,“ sagt sie herb, „Gute Nacht!“ Rasch und heftig schließt sie die Thüre hinter ihm und stößt den Riegel vor, daß es schallt. Mit großen unruhigen Augen kommt sie ins Zimmer zurück. Die Pastorin sitzt da und lächelt; zu sagen wagt sie nichts. Christel redet noch von ein paar gleichgültigen Dingen. Dabei räumt sie die Gläser ab und ergreift endlich die Lampe.

„Willst du nicht schlafen gehen, Lottchen? Komm’, ich leuchte dir hinauf.“

Wie sie oben sind, steckt Christel das Licht an auf dem Nachttischchen der Schwester, bleibt dann nach dem üblichen Gutenachtkuß an der Thüre stehen und schaut mit leeren Blicken an der Schwester vorüber. Die Pastorin kann sich abermals eines Lächelns nicht erwehren; sie hat noch etwas auf dem Herzen, denkt sie – der Wendlandt! Und in Zeit weniger Minuten hat sie sich ein Zukunftsbild ihrer Schwester ausgemalt, das an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Ja, warum auch nicht? Warum soll Christel sich nicht trösten an der Seite eines andern über die herben Täuschungen ihrer ersten Ehe?

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0252.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)