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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Was mischt Ihr Euch in meine Angelegenheiten, alter Botenläufer? Glaubt wohl etwas Hochwichtiges zu sein?“

„Bin ich auch! Lassen Sie Klärchen ihre Wege gehen – ich habe mit Ihnen zu sprechen!“

Aus einen ärgerlichen Wink des Vaters entfernte sich Klärchen. In großer Erregung ging sie um die Burg herum, bis sie an den Höllenschlund kam, zu dem steil die mondhellen Felswände hinabstürzten. Sie setzte sich an den Rand der Schlucht, die so recht geeignet war, schwermütige Gedanken wachzurufen. Das war dort unten solch ein Grab für alle Hoffnungslosen, tief, eng, dunkel – sollte sie auch alle ihre Hoffnungen begraben? Doch drüben ging ein fröhliches Rauschen durch die Wälder des Herdberges und ihre Wipfel neigten sich vor ihr, als wenn sie ihr Glück wünschten. Nein, nein! Sie brauchte nicht zu verzweifeln. Indes war Rübezahl mit dem Kommandanten im eifrigen Gespräche begriffen.

„Ihr gebärdet Euch,“ sagte dieser, ärgerlich seinen Schnurrbart in die Höhe zwirbelnd, „als ob Ihr Rechte auf das Mädchen hättet.“

„Und wenn es so wäre?“ versetzte Rübezahl.

„Ihr glaubt wohl wirklich, solch ein Stück vom alten Berggeist zu sein, nach dem Ihr Euren Spottnamen habt? Ihr glaubt kommandieren zu dürfen wie der Alte, der die Wolken hinauf und hinunter schiebt, wie’s ihm beliebt, und dazwischen donnert, wenn er gerade schlecht aufgelegt ist! Mein Lieber, man hat Euch etwas verwöhnt, weil man Euch brauchen kann, aber Eure Stiefel sind nützlicher als Euer Kopf – da stecken Eure Briefe mit den geheimen Ordres, in Eurem Kopf steckt nicht gerade viel.“

Rübezahl fühlte sich nicht beleidigt, er lächelte sogar. „Vielleicht doch mehr als Sie glauben! Mein Kopf hat auch seine Geheimnisse, so gut wie meine Stiefel, und hinter die Ihrigen bin ich schon längst gekommen.“

Der Kommandant wurde stutzig. „Ihr meint?“

„Ich meine, daß Klärchen nicht Ihre Tochter ist!“

„Oho! Was Ihr sagt!“

„Sie ist ein adoptiertes Kind, doch Sie haben es von Anfang an als Ihr eigenes ausgegeben.“

Röger war aufs äußerste betroffen.

„Woher habt Ihr diese merkwürdige Neuigkeit?“

„Aus guter Quelle! Ich habe sie auch schon Klärchen mitgeteilt.“

„Das Mädchen weiß – “

„Daß Sie nicht ihr rechter Vater sind!“

„Ah, also deshalb diese freche Auflehnung? Darum gebärdet sie sich jetzt so trotzig!? Aber was ficht Euch an, Rübezahl? Was kramt Ihr herum in diesen alten Geschichten? Was in aller Welt geht Euch das an, ob das Mädchen eine geborene oder adoptierte Röger ist?“

„Es geht mich an, Herr Kommandant! Ich habe meine Spürnase nicht in Ihre Vergangenheit gesteckt; da giebt’s ja bei allen Menschen dunkle Ecken, in welche allerlei Kehricht hineingefegt ist. Ein Zufall hat mich zum Mitwisser gemacht. Und es ist ja nichts so Schlimmes, was Sie gethan haben. Sie haben ein verwaistes Kind in eine ehrliche Familie aufgenommen. Nur daß Sie dasselbe für Ihr eigenes ausgegeben und damit geprahlt haben – das war ein Fehler und darum ist es Ihnen jetzt verzweifelt unlieb, wenn die Wahrheit an den Tag kommt und an die große Glocke gehängt wird. Mich aber geht das alles mehr an, als Sie glauben – denn dies Mädchen ist mir blutsverwandt.“

„Da hat sie wohl die Freude, einen alten Onkel gefunden zu haben?“

„Sie steht mir näher als Ihnen und ich habe mehr Recht auf sie – es ist mein Enkelkind, das Kind meiner verstorbenen Tochter!“ Röger schwieg; er qualmte gewaltig aus seiner Pfeife. Es trat eine längere Pause ein und der Alte betrachtete ruhig den niedergeschlagenen, sonst so hochmütigen Kommandanten, der sich allmählich aus seiner Bestürzung aufraffte.

„Wohl,“ sagte er, „es mag ja so sein! Das alles kümmert mich aber wenig; von Euch ist bei dem ganzen Handel nicht die Rede gewesen. Ihr habt Euch offenbar um Eure Tochter so wenig gekümmert, daß Ihr auch jetzt nicht das Recht habt, mitzusprechen, wo es sich um das verlassene Kind des verlassenen Mädchens handelt. Das Eine nur gesteh’ ich: es wäre mir peinlich, wenn’s herumkäme, daß Klärchen nicht meine eigene Tochter ist und daß ich der Welt so lange Zeit hindurch etwas vorgeflunkert habe. Wenn Euch also an meiner Freundschaft etwas gelegen ist, Rübezahl – und ich kann Euch doch viel nützen und helfen in der Welt – ich bin einflußreich, ich habe das Ohr des Grafen – so müßt Ihr mir versprechen, das Geheimnis sorgsam zu bewahren. Klärchen wird nicht plaudern, denn sie ist besser dran bei den Menschen, wenn sie für das Kind einer anständigen Familie gilt, als für eine Art von Findelkind.“

„Das könnte ja sein, das könnt’ ich versprechen, doch dafür verlang’ ich, daß auch Sie mir ein Versprechen geben.“

„Wenn ich’s halten kann –“

„Muß geschehen, Herr Kommandant! Sonst weiß Hermsdorf und Warmbrunn und alles, was am Zacken und am Bober wohnt, daß Sie der Welt ein X für ein U gemacht haben.“

„Nun?“

„Ich verlange, daß Sie Klärchen nicht zwingen, dem Christoph ihre Hand zu reichen.“

„Der Christoph –“

„Und daß Sie einem andern, wenn’s ein ehrlicher Kerl ist, nichts in den Weg legen.“

Jetzt wollte der Zorn den Kommandanten wieder übermannen. Die Vorstellung von dem Proviant, den der reiche Christoph geliefert hätte, von all den schönen Schinken und Eiern stieg ihm zu Kopfe. Aber er war doch schlau genug, einzusehen, daß diese Partie voraussichtlich nun verloren, daß es besser sei, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Und der andere,“

wandte er sich nach einiger Ueberlegung wieder an den ruhig wartenden Rübezahl, „hat er auch einen Schnappsack? Wenn er kein Bruder Habenichts ist, dann ließe sich darüber reden. Doch steuern müßte er für die Burg, das sage ich zum voraus! Nun kommt, Alter – ein Glas Stonsdorfer Bier, frisch vom Faß – Ihr erzählt mir, wie Ihr alles erfahren.“


Noch immer hatte Edmond keinen Bescheid vom Prinzen Jerome erhalten. Der Krieg in der Grafschaft nahm ja kein Ende und man brauchte tüchtige Offiziere. Wie, wenn er hinüber kommandiert würde als ein Genesener, wenn man ihm den Abschied verweigerte?

Leontine konnte den Augenblick nicht erwarten, wo sie dem Vaterhause den Rücken kehren, mit dem Geliebten hinausziehen durfte in die Welt. Fort mußte sie, denn wenn der Krieg plötzlich ein Ende nahm, da konnten die beiden Freier zurückkehren, vielleicht lahm und verstümmelt, und dem, den zuerst die feindliche Kugel getroffen, mußte sie dann die Hand reichen. Eine Invalidenbraut – dazu hatte sie sich ja selbst verurteilt! Die böse Kunigunde hatte ihr den unseligen Gedanken eingegeben. Doch es durfte nicht sein! War sie erst in der Ferne verschwunden, dann hatten sie das Nachsehen, die tapferen Vaterlandsverteidiger! Sie hatte zwar ihr Wort gegeben, doch das blieb ja hier zurück, und wenn sie fern auf den Rebenhügeln der sonnigen Provence weilte, da mochten die erbitterten Freier sie immerhin in den Höllenschlund hinunter wünschen: das kümmerte sie wenig – nur fort mußte sie, fort um jeden Preis!

Es kam hinzu, daß der Papa jetzt immer von unerträglicher Laune war, ein Franzosenfresser schlimmster Art. Seine Ausfälle auf Napoleon, auf den Harem des galanten Jerome, auf die sittenlosen Offiziere, welche Deutschland mit den Odeurs von Paris verpesteten, reizten und erbitterten sie, und doch durfte sie nicht widersprechen! Sie rächte sich aber, wenn sie bei derartigen Tischgesprächen alles Unangenehme, was in der Wirtschaft passiert war, hervorsuchte, die gefallenen Pferde, die Diebereien des Eleven, die Kühe, die nicht genug Milch gaben, das schlechtstehende Korn, das verregnete Heu – und wenn sie solch einen Haufen von wirtschaftlichem Unglück auf den alten Herrn gewälzt, daß diesem vom Aerger fast der Atem verging, dann atmete sie selber frei auf: das hat er nun für seinen altpreußischen Zopf, den er mir immer ins Gesicht schlägt!

Doch der Papa merkte die böse Absicht und er war nicht mehr so stolz auf seine Leontine, er lies; ihr nicht die Freiheit der Bewegung wie sonst. Immer mußte sie zu Hause sein, immer die Honneurs machen, selbst wenn nur ein gewöhnlicher Bauer kam, um einen Schafbock zu kaufen, oder ein Mann mosaischen Glaubens, der mit Papa ein Geldgeschäft machte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0220.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2017)