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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Die erste Volksheilstätte für Brustkranke in Bayern.

Von Dr. Ferdinand May.
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Die Volksheilstätte Krailling bei Planegg in Bayern.

In einem Aufsatze über Volksheilstätten für Lungenkranke in Halbheft 18 des Jahrgangs 1890 der „Gartenlaube“ hat Dr. Driver die Ansicht ausgesprochen, „die Volksheilstättenfrage scheine nun in Fluß zu kommen“, und wahrlich, er hat recht gehabt! Rascher als zu erhoffen war, hat sich nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen civilisierten Welt eine Bewegung und Thätigkeit entwickelt, die zu der Annahme berechtigt, daß die Lungenschwindsucht endlich allgemein richtig und erfolgreich bekämpft wird, indem den Lungenkranken aller Volksschichten die ihnen gebührende Behandlung in geeigneten für diesen Zweck erbauten Anstalten zu teil wird.

Es ist das Verdienst unserer deutschen Kliniker, wir nennen vor allen die Namen v. Ziemssen, v. Leyden, Schrötter und Gerhardt, in dieser Frage bahnbrechend gewirkt zu haben, indem sie durch Wort und That dafür eingetreten sind, daß die Tuberkulose eine heilbare Krankheit ist, und zwar nicht durch specifische und medikamentöse Therapie, sondern durch die physikalisch-diätetische Freiluftbehandlung innerhalb geeigneter Sanatorien.

Bis vor wenigen Jahren waren wegen der verhältnismäßig hohen Kosten wohl die reich Begüterten in der Lage, bei Erkrankungen der Lunge die in Deutschland bestehenden Heilanstalten und Kurorte aufzusuchen oder in südlichem Klima Besserung und Heilung ihres Leidens anzustreben; die Minder- und Unbemittelten aber mußten zu Hause in meist engen Wohnungen dem Siechtum überlassen bleiben oder in die allgemeinen Krankenhäuser aufgenommen werden, die nach einstimmigem Urteile der Fachmänner nicht der geeignete Platz zur Behandlung von Lungenerkrankungen sind. Noch in Halbheft 6 des Jahrganges 1893 der „Gartenlaube“ wurde die Heilanstalt für unbemittelte Lungenkranke zu Falkenstein im Taunus als „erster Stein zu einem köstlichen Baue der Nächstenliebe, der in den nächsten Jahren aufgeführt werden muß“ bezeichnet; vor wenigen Wochen konnte dagegen Geheimrat v. Ziemssen in einer Arbeit über den heutigen Stand der Volksheilstättenfrage folgendes berichten: „Im kommenden Frühjahre werden etwa 25 Sanatorien teils im Betrieb, teils im Bau begriffen sein, und bevor das Jahrhundert zu Ende geht, wird diese Zahl wahrscheinlich verdoppelt sein. Berechnen wir für 25 Sanatorien mit einem Belegraum von 100 Betten einen vierteljährlichen Wechsel der Belegung, so entziffert sich als gesicherte Jahresleistung, daß 10000 Kranke eines dreimonatigen Kurverfahrens teilhaftig werden können. Das ist in der That ein großes Resultat, das alle Erwartungen übertrifft.“

In wahrhaft großartiger Weise hat sich wiederum die Privatwohlthätigkeit gezeigt, indem sie Mittel zum Bau von Heilanstalten gespendet hat. Allenthalben haben sich Vereine gebildet, welche diesen Zweck verfolgen; an der Spitze derselben steht das „Deutsche Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke“ unter dem Protektorate der Deutschen Kaiserin und dem Ehrenvorsitze des Fürsten zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Männer aus allen Teilen Deutschlands und aus allen Berufsklassen gehören demselben an. Das Komitee verfolgt nicht den Zweck, selbst Anstalten zu bauen, sondern will die Vereine hierbei durch Geldbeiträge unterstützen.

Ganz wesentliche Förderung wurde der Heilstättensache nach dem Vorgehen der hanseatischen Versicherungsanstalt unter der thatkräftigen und zielbewußten Leitung ihres Direktors Gebhardt durch die Alters- und Invaliditätsversicherungsanstalten erwiesen, indem diese von der ihnen nach § 12 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes gegebenen Befugnis zur Uebernahme der Kosten des Heilverfahrens auf Lungenkranke Anwendung machten. Zum Teil haben die Versicherungsanstalten selbst Heilstätten erbaut, so die hanseatische in Oderberg, zum Teil aber haben sie den Bau der durch die Vereine gegründeten Anstalten ermöglicht durch Gewährung von Darlehen zu einem möglichst niedrigen Zinsfuße oder gegen die Berechtigung, jederzeit Betten in den Anstalten zu belegen. Bis Ablauf des Jahres 1897 waren rund 1300000 Mark von Anstaltsmitteln in Heilstätten angelegt, im Jahre 1898 werden sich nach einer Mitteilung Gebhardts die hierfür zur Verwendung kommenden Mittel aus 3 bis 4 Millionen Mark belaufen.

Aber auch die Gemeinden haben bereits angefangen, ländliche Heilstätten zu errichten; die Stadt München geht mit gutem Beispiele voran, indem sie ein Sanatorium für 400 Betten in Harlaching erbaut, Worms plant eine Anstalt, ebenso Leipzig, und auch Berlin, das sich so lange ablehnend verhalten, hat sich jetzt entschlossen, nach Ablauf des Pachtes der Versicherungsanstalt die Heilstätte in Gütergotz für lungenkranke Männer einzurichten.

Wir brauchen wohl nicht erst zu sagen, wie notwendig und berechtigt der Kampf gegen die Tuberkulose ist; es ist doch allbekannt, daß sie, die verheerendste aller Krankheiten, in Deutschland jährlich 160000 bis 180000 Opfer fordert, daß an ihr in Europa täglich nahezu 3000 Personen sterben, und zwar gerade die in vollster Lebenskraft stehenden Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, die eigentlich die Aufgabe hätten, zu erwerben und für ihre Familien zu sorgen. In Deutschland sterben an Tuberkulose nach den Berichten des Gesundheitsamtes 33%, in Bayern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0217.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)