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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Burgthor hinter sich, als ihr Leontine, die steilen Wege hastig heransteigend, atemlos entgegen kam.

„Ich muß dich sprechen, Klärchen.“

„So muß es hier auf dem Wege sein, denn ich habe Eile.“

„Einen Augenblick nur laß uns dort auf der Bank ruhen; ich habe dir etwas zu erzählen, ein Geständnis zu machen, und dazu muß ich mir ein Herz fasten und vor allem erst zu Atem kommen.“

Klärchen war nicht ohne Neugier, die Beichte der vornehmen Freundin zu hören, und so folgte sie ihr halb widerwillig, halb gespannt auf den Seitenpfad, der zu dem schönen Aussichtspunkte führte.

„Du hast solche Eile – das ist mir sehr unangenehm,“ sagte Leontine, „es handelt sich um Herzenssachen und die kann man nicht so aus dem Aermel schütteln; da kommt eins nach dein andern und man braucht Zeit, um alles richtig zu erzählen. Doch ich will mich kurz fassen,“ fuhr Leontine fort, als sie auf der Bank Platz genommen hatte. „Ich liebe.“

„Jenen Kurt von Rohow, den du in den Krieg schicktest?“

„O, nein!“

„Dann den anderen, den schwärmerischen Friedrich?“

„Nein, auch ihn nicht!“

„So treibst du ein Spiel mit ihnen?“

„Ein Spiel, wenn ich die müßigen Herren zum Kampfe fürs Vaterland mobil machte? Es gilt unter Männern doch einmal für Ehrensache, dafür zu kämpfen, und junge Edelleute dürfen nicht zu Hause sitzen, wenn’s in den Bergen knallt. Jagd oder Krieg, es ist einmal ihr Vorrecht; sie gehen ja immer mit der Flinte herum wie die Briganten in den Abruzzen und der Krieg ist wenigstens eine Abwechslung; ich aber bin sie so auf bequeme Art losgeworden.“

„Das ist unrecht, Leontine!“

„Unrecht? Ich setzte mich zur Wehr gegen ihre Raubgier. Was gelt' ich ihnen? Sie wollen nichts als mein Geld, mein Hab’ und Gut! O, die Liebe ist anders! Der Mann, den ich liebe, er ist nicht hier im Lande geboren; er weiß nicht, ob ich arm oder reich bin; er selbst aber hat keinen Besitz, weder hier noch anderswo; er kann meinem Vater nicht genehm sein, der für mich einen reichen und vornehmen Freier wünscht.“

„O, das versteh’ ich, eine heimliche Liebe, die sich verbergen muß.“

„Und dazu eben brauche ich deine Hilfe. Noch heute abend kehrt mein Vater von Breslau zurück; Begegnungen mit dem Geliebten in unserem Giersdorfer Park sind dann ausgeschlossen; mein Vater ist ein unruhiger Gutsherr, er ist eben überall, ehe man sich’s versieht. Und deshalb gerade will ich deine Hilfe in Anspruch nehmen. Hier auf die Burg zu kommen in Begleitung meiner Lotte, erlaubt der Vater gern! Das ist der Ort, wo wir uns treffen können, wenn du unser Schutzengel sein willst. Es giebt ja noch Räume im alten Gemäuer, zu denen du die Schlüssel hast, oder wir flüchten uns in einen der Höfe und Zwinger und du warnst uns, wenn lästige Gesellschaft kommt.

Vor allem aber bist du verschwiegen wie das Grab und unterhältst die dicke Lotte, wenn sie sich allein zu langweilen anfängt!“

„Das alles ist mir peinlich; ich seh’s voraus: ich muß den Vater täuschen und seine Wachsamkeit hintergehen. Und dazu kann ich mich nur schwer entschließen.“

„Du weigerst dich also?“

„Ich würde mich weigern,“ versetzte Klärchen, „wenn nicht das Eine wäre.“

Und nun brach sie in Thränen aus und Schluchzen und sank der Freundin ans Herz.

„Das Eine?“

„Ja, daß ich so ganz mit dir fühlen kann. Denn auch mir brennt’s heiß im Herzen, ein heimlich Lieben, das ich vor dem Vater verbergen muß. Wie könnte ich dich anklagen, da ich selber schuldig bin!“

„Und so bist du bereit, meinen Wunsch zu erfüllen?“

„Ich werd’s übers Herz bringen wie vieles andere, das mir noch schwerer fällt, doch in den nächsten zwei Tagen ist es unmöglich.“

„Unmöglich?“ rief Leontine, teils erschreckt, teils ärgerlich, auf ein unerwartetes Hindernis zu stoßen. Ihren Wünschen mußte sich alles fügen, sie war gewohnt zu befehlen.

„Auch ich muß dir ein Geständnis machen,“ versetzte Klärchen errötend, „ich will auf zwei Tage nach Schreiberhau. Dort weilt der, dem mein Herz gehört, und auch ich muß das hinter dem Rücken meines Vaters thun.“

„Das ist sehr unrecht von dir,“ sagte Leontine heftig und unüberlegt.

„Und du, Leontine?“

„Das ist etwas anderes. Du bist noch ein halbes Kind; ich bin selbständig, gewohnt, mich frei in der Welt zu bewegen. Du bist immer geführt worden und kannst fallen, wenn du deine eigenen Wege gehen willst! Ich warne dich, Klärchen!“

„Du warnst mich nur, weil es dir jetzt nicht paßt, daß ich die Burg verlasse.“

„Und wenn’s auch so wäre,“ versetzte Leontine, mit dem Fuße aufstampfend, „ich habe einmal keine Geduld, und so lange ihn nicht wiederzusehen, es bringt mich um!“

Leontine erhob sich heftig und warf der Freundin einen sehr bösen Blick zu. Doch es war alles vergeblich, Klärchen zuckte nur leise mit den Achseln.

„Mag es denn sein,“ sagte das Schloßfräulein, indem es vor Klärchen stehen blieb und sie mit überlegenem Lächeln ansah, „wie konnte ich denn annehmen, daß du kleines Ding auch solche Geheimnisse hast? Sieh, sieh – das bescheidene Mauerblümchen vom Kynast, ich hatte ordentlich Respekt vor deiner Unschuld!

Nun, wir sind allzumal schwache Geschöpfe. Darf ich also wenigstens auf dich rechnen, wenn du zurückgekehrt bist?“

„Rechne auf meine Freundschaft,“ sagte Klärchen.

Leontine drückte ihr die Hand.

Schweigend schritten die beiden Mädchen die Waldwege des Burgbergs hernieder.


(Fortsetzung folgt.)


Die redenden Kräuter der guten alten Zeit.
Von Rudolf Kleinpaul.

Der gelehrte Leibarzt des Fürstbischofs von Würzburg Johann Bartholomäus Adam Beringer hat im vorigen Jahrhundert Versteinerungen für hebräische Buchstaben angesehen und 1726 ein großes Prachtwerk mit einundzwanzig Kupfern herausgegeben, um das Wort des Psalmisten zu illustrieren: Denn so er spricht, so geschieht’s; so er gebeut, so stehet's da. Die Fossilien waren gefälscht und in der Gegend von Würzburg unter der Erde vergraben worden. Er glaubte, ganze hebräische Worte, ja, den Namen Jehovah selber in den Steinen zu erkennen, und nahm an, daß dies die Lapidarschrift des Schöpfers gewesen sei.

Uns erscheint heutzutage in der Pflanzenwelt vieles als Naturspiel, was in der guten alten Zeit einmal für eine geheimnisvolle Sprache Gottes gegolten hat.

Wenn die Botaniker herzförmige, nierenförmige, handförmig geteilte, fußförmig geteilte Blätter unterscheiden, so wird niemand etwas anderes als ein Naturspiel in diesen Formen sehen. Wenn ein bekanntes Unkraut seiner dreieckigen Schote wegen den Namen Hirtentäschel führt, wenn eine Blume Eisenhut, eine Morchel Tirolerhütchen heißt, so denkt man nicht daran, etwas hinter diesen Bezeichnungen zu suchen. Früher war das anders.

Eine der seltsamsten Verirrungen des Menschengeschlechts, eine phantastische Kombination, die aber weitreichende praktische Folgen hatte und tief in die mittelalterliche Arzneimittellehre eingriff, ja, in der Volksmedizin heute noch spukt, war die Lehre, von der sogenannten Signatur der Pflanzen.

Die spezifischen Mittel, d. h. Heilmittel, die gegen bestimmte Krankheiten halfen, sollten nach dieser Lehre besondere Kennzeichen tragen. Jedes Kräutlein hatte eine Form und eine Farbe und eine Beschaffenheit, daß man gleich sehen konnte, wozu es gerade gut war: was auf den Kopf wirkte, glich auch einem Kopfe, was ein herzstärkendes Mittel war, hatte auch Herzform; das Leberblümchen war wie ein „redendes Wappen“, es glich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0160.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)