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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Danke!“ ist die kurze Antwort.

„Fräulein von Wartau sprach wohl zu viel? Du siehst so erhitzt aus,“ sagt sie und beginnt ein Glas Citronenlimonade zu mischen.

Er antwortet darauf nicht, sondern deutet nach einem Schreiben, das geöffnet auf seiner Decke liegt. „Karl fragt nochmals an, der Taufe wegen,“ sagt er vor Aufregung heiser, „es ist – ich glaube – “

Ihre Hand, die das Glas hält, zittert stark; sie wendet sich halb von ihm ab, damit er es nicht sehen soll.

„Wir können doch nicht beide abschreiben, Christel,“ fährt er fort, „du mußt reisen, Christel, es wäre zu unartig – denke ich –“

„Und wann ist die Taufe?“ unterbricht sie ihn.

„Heute über acht Tage.“

„Und du glaubst, bis dahin wieder so weit zu sein, daß du meine Pflege entbehren kannst, Anto?“ fragt sie weiter.

„Ja, ich denke – und wenn nicht, dann behelfe ich mich eben einmal. Christel, du mußt!“ ruft er so heftig, als habe sie ihm widersprochen. „Und wenn du etwa Anstand nimmst der Trauer wegen, das ist Unsinn! So ein kleines Familienfest, und – deine gute Mutter war doch in den Jahren, wo man – ich bitte dich, mach’ keine Schwierigkeiten, setze dich hin und schreibe, daß du kommst.“

„Aber gewiß, Anto, sofort!“ sagt sie so ruhig, daß es seltsam absticht von seinem heftigen Zureden.

Er hat wohl eine Gegenrede erwartet, er sieht sie wenigstens völlig verblüfft an, da sie aber ohne weiteres in sein Zimmer geht, sich an den Schreibtisch setzt und den gewünschten Brief verfaßt, legt er sich mit dem Ausdruck qualvoller Abgespanntheit zurück und preßt die Hand gegen die Stirn. Es geht nicht mehr so weiter, er kann das Leben so nicht mehr ertragen.

Nach ein paar Minuten kommt Christel zurück. „Ist dir’s so recht, wie ich schrieb?“

Er nimmt das Blatt mit einem langen forschenden Blick auf sie; es ist Christels altes stilles Antlitz, das er erblickt, ein wenig blasser zwar und schmaler als sonst, aber im übrigen unverändert – sie ahnt nichts, nein, sie ahnt nichts! Die Schrift freilich, die ist seltsam, anstatt der sonst so kinderhaften Buchstaben mit den regelmäßigen, gewissenhaft ausgeführten Haar- und Grundstrichen, ist es eine hastige, zitternde Schrift, und der Name darunter: „Christiane Mohrmann“ ist groß hingemalt; wie trotzig stehen die Buchstaben da; ein Handschriftverständiger würde in ihnen einen Charakter von unbeugsamer Energie erkennen.

„Danke sehr,“ sagt er, und Christel geht abermals, um zu couvertieren und die Adresse zu schreiben. Dann giebt sie dem Diener den Brief und tritt in das Wohnzimmer, und dort sitzt sie im Lehnstuhl, auf der Estrade, die Hände im Schoß zusammengefaltet, die Lippen aufeinander gepreßt. Noch acht Tage! Noch acht Tage – dann ist sie heimatlos, liebelos und bettelarm an Glück!

(Fortsetzung folgt.)

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Erfinderlose.

Der Geigenmacher von Absam.
Von Karl Wolf-Meran.

Als mir die Kunde zukam, daß auf dem Grabe des Geigenmachers von Absam, Jakob Stainers, ein neuer, würdiger Denkstein aufgestellt werden soll und man darangehe, die hierzu nötigen Mittel im Wege der öffentlichen Sammlungen aufzubringen, stieg vor meiner Seele plötzlich ein Bild aus meiner Jugend auf.

Die Stube eines Hofes in unserer Nachbarschaft war gar so behaglich. Das Getäfel war gebräunt vom Alter, vom Rauch der eisernen Latschern[1] und freilich auch von dem Tabaksqualm der Männer, denn es waren außer dem Bauer noch acht Knechte auf dem Hofe und dazu kamen noch die Schuhmacher, wenn sie im Winter auf der Stör[2] arbeiteten, oder die zwei Weber. Weniger qualmte der Schneider mit seinem Lehrburschen, denn der alte Meister vertrug wegen seiner schwachen Augen den Rauch nicht. Rings um den mächtigen Ofen lief eine Bank und in der Ecke spann, so lange ich nur zurück denken kann, die alte Lene. Am Rocken hatte sie ein kleines Haferl mit Wasser, in welches sie jeden Morgen einen Tropfen Weihbrunnen gab, damit das Garn recht ausgiebig werde. Mit dem also geweihten Wasser netzte sie die Fingerspitzen, denn mit der Zunge, wie es die jungen Spinnerinnen machen, wollte es nicht mehr recht gehen. Der übrige Teil der Bank und auch der Stubenboden rings um die alte Spinnerin war des Abends am Samstag immer von den Kindern aus der Nachbarschaft weitum besetzt, denn die alte Lene wußte gar wundersame Geschichten zu erzählen und hatte, um nicht die ganze Woche hindurch geplagt zu werden, ein für allemal die ganze Schar für jeden Samstag Abend eingeladen. Und da hörte ich das erste Mal die Geschichte vom Geigenmacher in Absam:

„Da hat vor langer, langer Zeit in Absam, zelm wo die heilige Gnadenmutter in einer Fensterscheiben erschienen ist und so viele Wunder wirken thut, a Geigenmacher g’lebt. ’s Stainer Jaggele hat man ihn g’nennt. A Geig’n denk’n sich die Leut’ halt, ist a Geig’n, zum Musig machen traurig und lustig, geistlich und weltlich. Aber sell ist nit so. Im Welschland drunt haben Geigenmacher g’lebt, die haben die Instrumenter so künstli g’macht, daß man sie ihnen als Kafschilling mit Dukaten ang’füllt hat.“

Da fiel der Alten zum allgemeinen Aerger ein naseweiser Junge in die Rede: „O jegerl, da hätt’ i alles lei Baßgeignen g’macht!“

„Du hättest überhaupt kein Geig’n machen können,“ zürnte die alte Lene, „weil in dei’m Herz’n die Habsucht wohnt und dieselben dürf’n bei die Geigenmacher lei von Frömmigkeit erfüllt sein. Der Stainer Jaggele ist a fromm und gottergeben g’west. Am liebst’n ist er Feiertags durch Wald und Feld gangen und hat g’lauscht, wie die Nachtigallen singen und flöt’n. Da hat er innerling gebetet: ‚Gelt, lieber Herrgott im Himmel, so weit laßt’s kummen, daß i a Geig’n mach mit so einer süß’n Stimm wie a Nachtigall‘.

Und der liebe Herrgott hat ihm geholf'n. An Engel hat er g’schickt und der hat das Jaggele in Wald naus g’führt zu einer abg’storbnen Haselficht’n. ‚Aus dem Holz mach a Geig’n,‘ hat der Eng’l g’sagt, ‚und laß sie singen zur Ehr’ Gottes.‘ Der Stainer hat g’folgt und Tag und Nacht hat er an der Geig’n gearbeitet. Und wie sie fertig war, ist er mutterseelenallein in Wald naus und hat auf der Geig’n g’spielt. Da sein die Vög’l mäuserl still g’west ringsum, der Inn im Thal hat nit mehr g’rauscht und der Wind ist still g’stand’n; die Welt hat g’meint, a Engerl singt.

Zur selbig’n Zeit ist der Antechrist in der Welt umzogen und die Ketzerei hat gar bis ins Tirol Platz griff’n. Der Kaiser thät’s erlauben, haben sich die Leut’ erschrock’n zug’flüstert. Kurz drauf ist der Kaiser nach Sbrugg (Innsbruck) kommen und kniet halt am Sonntag in der Kirch’. Der Stainer Jaggele war mit seiner Wundergeig’n auf’n Chor und nach der Wandlung spielt er, wie halt öfter, ganz alleinig a Marienlied. Da hat die Engelsstimm’ so mächtig aus der Geig’n herausklungen, daß dem Kaiser in der Kirch’ drunt die Thränen vor Rührung über die Wangen g’rollt sein. Zu der Stund’ hat er feierlich g’lobt, die Ketzerei darf in Tirol nit aufkommen.

Glei aber hat sich der Teuf’l dahinter g’steckt und der Stainer hat gar selber ang’fangen ketzerische Pratingen (Bücher) zu lesen. Er hat nimmer in der Kirch’n g’spielt, hat die heiligen Sakrament g’mied’n und ist alleweil tiefer in Unglauben versunk’n.

Da hat der liebe Gott wieder einen Eng’l g’schickt, der hat dem Stainer mit der Hand ganz still über die Stirn g’strichen, und er ist in Wahnsinn verfallen.

Seit der Zeit hat kein Mensch mehr a solche Geig’n machen können wie ’s Stainer Jaggele auf Absam.“

Das ist die Geschichte des mit Recht berühmten tiroler Geigenmachers, wie sie sich noch zweihundert Jahre nach seinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0142.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)
  1. Latscher ist ein eisernes Gestell, auf welches ein Stück Talg mit einem Docht gelegt wird.
  2. Auf der Stör = statt in der eignen Werkstatt, in der Behausung der Kunden.