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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und imponierender Sicherheit, „seinen Leuten“ vor: „Paul Weilheim – aus Wien.“

Der große, jedem Wiener geläufige Name machte wenig Eindruck – der alte Herr schien nicht daran zu denken, daß er „diesen“ Weilheim vor sich habe. Aber Unmenschen waren die drei doch nicht, und nach dem ersten kleinen Befremden entwickelte sich eine angeregte Konversation, in deren Verlauf die gedachte Kritik der beiden Alten lautete: „Ein netter Mensch! Ein sehr angenehmer Mensch!“ – – und die Pauls: „So seid ihr also! Aha! So hab’ ich mir’s gedacht!“ – – Fräulein Emma, anfangs etwas ernst und gemessen, machte ihm bald das aufrichtige Vergnügen, die blauen Augen voll und freundlich auf ihn zu heften. Auch wurde ihm die Genugthuung zu teil, mit seinen trockenen Bemerkungen mehrfach das ihm schon bekannte Lachterzett zu entfesseln (Fräulein Emma Oberstimme, goldklarer Sopran); und als Paul Weilheim sich nach diesem Tag, der ihm noch einen Waldspaziergang zu viert gebracht hatte, in sein Zimmer zurückzog, da hatte er vor dem Einschlafen das erstaunlich angenehme Gefühl: „Da hast du einmal einen klugen Streich gemacht“ – – und noch später, schon im Hinüberdämmern, das zweite: „Wunderhübsche Augen – ein liebes Ding!“


2.

Zehn Tage später – ein prachtvoller, nicht zu heißer Vormittag, Anfang August. Im Mariaschutzer Wald wandern einträchtiglich, in einiger Entfernung voneinander, ein altes und ein junges Paar. Das alte hat sich, wie immer, viel zu erzählen – das junge ist heute, durchaus nicht wie immer, sehr still.

„Mein gnädiges Fräulein,“ sagt Paul nach der soundsovielten längeren Pause – bleibt stehen, schweigt, und dann: „Mein Fräulein* – er geht weiter – „mit der Unterhaltung ist heute, wie Sie ja sehen, nicht viel los. Ich will mir’s also von der Seele sprechen – was mich heute so unbrauchbar macht – wenn Sie mir nämlich gütigst die Erlaubnis geben.“

Er schweigt wieder, atmet etwas tiefer und betrachtet mit großer Aufmerksamkeit die kleinen Steine auf dem Weg. Dann nach einer Weile: „Ich bin, wie Sie gewiß gemerkt haben, g’rad’ kein schüchterner Jüngling – Jüngling so wenig wie schüchtern – aber was ich Ihnen heute sagen will, das geht doch nicht so leicht von der Leber weg. Bitte, schau’n Sie mich mit Ihren – – Ihren Augen nicht so starr an – schau’n Sie doch lieber ein bissel“ – mit Handbeweguug – „da herum.“

Pause.

„Ich komm’ mir selbst mit all den Vorbereitungen und Vorreden sehr lächerlich vor. Ich brauch’ mich auch wirklich nicht zu schämen – ich hab’ schon viel dümmere Streiche in meinem Leben gemacht. Nein, bitte“ – etwas flüssiger: „schau’n Sie mir nur wieder mit Ihren lieben Augen ins Gesicht – jetzt wird’s schon gehen.“ Und von da an immer flüssiger, rascher und leiser: „Fräulein Emma – was soll das Hin- und Herreden – ich werd’ Ihnen wohl sehr lächerlich vorkommen, wir kennen uns jetzt g’rad’ zehn Tage und wissen eigentlich nicht gar viel voneinander – so äußere Sachen, mein’ ich – – und – – und ich will Ihnen auch gar nicht einreden, daß ich bis über beide Ohren in Sie verliebt bin. Ich muß Ihnen sogar gestehen, daß ich diese sogenannte Verliebtheit schon oft bedeutend stärker gespürt hab’ als just heute – – und doch, Fräulein Emma – was ich hier so von Ihnen gesehen hab’ – so lieb und schön und gut und unverdorben wie Sie sind – und die zwei prachtvollen Leute da hinten, Ihre Eltern – und wenn Sie wüßten, wie ich – es ist ja lächerlich, ein großer, alter, vom Leben hartgesottener Mensch und keine Spur von sentimental – wie ich mich sehne – nach einem Fleck, der einem allein gehört, nach einem guten Kameraden – nach einem Menschen halt – und jetzt Sie da vor mir, wo ich gar nicht mehr geglaubt hab’, daß so unverdorbene, unverzogene Mädeln noch existieren – – – Und kurz und gut, ich will Ihnen nicht die Beleidigung anthun und Sie fragen: ‚Magst du mich?‘ Was wissen Sie denn von mir, was kennen Sie denn von mir? Nur fragen wollt’ ich Sie eben“ – er bleibt wieder stehen und seine Stimme wird sehr leise und sehr sanft – „überlegen Sie sich’s halt! Erlauben Sie mir, daß ich um Sie und Ihre lieben Eltern bleib’, damit Sie drei mich kennenlernen! Der Papa soll herumfragen nach mir und soll mich mit den Brillengläsern durch und durch schau’n. Vielleicht sieht er dann, wie ich’s mein’, und daß ich vielleicht doch nicht ganz und gar zu schlecht bin für seinen Schatz. Und Sie – – vielleicht – wenn Sie mich kennen – – und sehen dann – und – – also kurz und gut, ich möchte gebeten haben – – und also, bitte recht schön, erlauben Sie mir’s – bitte – thun Sie’s!“

Seine Stimme ist immer leiser geworden – ganz leise. Er wirft einen raschen Blick auf sie, wird rot und sieht schnell wieder fort und auf die Steine auf dem Weg.

„Wollen wir nicht weiter gehen?“ sagt sie endlich sanft. Und bleibt nach ein paar Schritten stehen, streckt ihm eine leicht zitternde Hand entgegen und lächelt ihn mit feuchten und dankbaren Augen an. „Ich will Ihnen sagen, was ich denke. – – Sie sind nicht stürmisch verliebt – nun – ich bin’s auch nicht! Aber ich – sehen Sie – ich hab’ mich immer vor dem Heiraten gefürchtet. Ich weiß schon, es muß sein, denn die Eltern erwarten’s als ihr einziges Glück. Aber wenn mich die Mama gefragt hat – zwei- oder dreimal ist’s doch schon vorgekommen – der und der läßt dich fragen, ob –? Glaubst du, daß du könntest? – – Sie müssen mich ja nicht für eine wählerische Prinzessin halten – aber – ich hab’ nie können! Ich bin nicht so dumm, auf die große Verliebtheit zu warten – aber ich – sehen Sie – ich hab’s halt zu Haus so gut. Ich hab’ mir nie ein Herz fassen können. Sie aber“ – Augen, Mund und das ganze, purpurrotgewordene Gesicht lächeln ihn an – „Sie sind ganz anders. Ich hab’ keine Angst vor Ihnen – ich trau’ Ihnen. Wenn Sie auch spöttisch sind und ein Weltmann – o ja, Sie sind einer – und wenn Sie auch immer sagen, daß Sie nicht sentimental sind – Sie sind doch ‚sentimental‘. Sie sind gut, Sie sind lieb, bei Ihnen wird’s nicht kalt sein. Sie“ – Augen und Gesicht strahlen ihn an – „Sie haben meine Eltern lieb – – ich kenn’ Sie jetzt schon – ich weiß schon, was Sie sind! Ich dank’ Ihnen für das, was Sie mir vorhin gesagt haben – und jetzt, nicht wahr, jetzt wollen wir’s ihnen sagen.“

Und sie wenden sich leise und gehen Hand in Hand durch den Wald – durch den grünen schweigenden Wald – den Eltern entgegen.


3.

Was die drei Freisingers gesagt haben, als sie endlich erfuhren, daß „ihr“ Weilheim „dieser“ Weilheim war, und daß die kleine Emma in aller Unschuld sich das große Los aus der geheimnisvollen Urne gefischt hatte? Nun, es waren, wie gesagt, närrische, altmodische Leute. Sie waren überdies selbst wohlhabend – die Kanzlei ging sehr schön, trotzdem Doktor Freisinger das Goldmachen nicht so recht verstand und zahlreiche arme Verwandte besaß – und hatten, was sie brauchten: nämlich eine verfeinerte, aber nicht überfeinerte Lebensweise. Sie waren also von der großen Neuigkeit nicht eben überwältigt. Aber, daß das Kind damals im Wald mit einem so ruhig freudigen Gesicht dahergekommen war, und daß der glänzende Weltmann das einfache junge Ding mit einer Art von zärtlichem Respekt behandelte – das war freilich eine andere Geschichte und ging den Alten noch ganz anders im Kopf herum als die Millionen des zukünftigen Herrn Schwiegersohns. Und doch war des Vaters erstes Wort gewesen: „Nur ruhig – und nur nichts überstürzen! Sich kennenlernen – sehen, ob man zu einander paßt – und dann weiter schau’n!“

Dabei war’s geblieben. Aber der gestrenge Papa sah, daß das Kind schon seine Meinung gefaßt hatte, und die lautete dahin, daß man sich kenne, und daß man zu einander passe. Und der Vater hielt das Kind für weise und hatte die Erfahrung gemacht, daß, wenn das Kind sagte: so ist’s – daß es dann auch richtig immer so gewesen war. Und darum hielt er selbst das „Kennenlernen“ und den Aufschub der eigentlichen Verlobung für eine bloße Formalität; und die drei anderen wußten, daß er es dafür hielt, und waren’s zufrieden. Und so gab’s denn damals auf dem Semmering vier Menschen von ganz eigentümlicher Gemütsverfassung: zwei alte, die den ganzen Tag

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